juris PraxisReporte

Autor:Prof. Dr. Mark von Wietersheim, Geschäftsführer forum vergabe e.V.
Erscheinungsdatum:13.05.2025
Quelle:juris Logo
Normen:EURL 24/2014, EURL 25/2014, EURL 23/2014, EWGRL 665/89
Fundstelle:jurisPR-VergR 5/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Lutz Horn, RA
Zitiervorschlag:von Wietersheim, jurisPR-VergR 5/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Legal Update - Fortentwicklung des Vergaberechts

A. Einleitung

In Deutschland haben sich durch die vorgezogenen Bundestagswahlen und der damit eintretenden Diskontinuität mehrere Gesetzgebungsverfahren erledigt, über die zuletzt an dieser Stelle berichtet wurde. Dies betrifft jedenfalls in der bisher vorgelegten Form insbesondere das geplante Vergabetransformationsgesetz, das Bundestariftreuegesetz und das Gesetz zu Änderung des Zuständigkeitsstreitwerts der Amtsgerichte, zum Ausbau der Spezialisierung der Justiz in Zivilsachen sowie zur Änderung weiterer prozessualer Regelungen. Der unten dargestellte Koalitionsvertrag sieht aber eine Reihe von Vorhaben im Vergaberecht vor.

Auch auf europäischer Ebene gab es mit der Europawahl und der Bildung einer neuen Kommission wenig konkrete Fortschritte oder Maßnahmen. Vor der Wahl waren noch zahlreiche Vorhaben umgesetzt worden.

Dieser Bericht geht üblicherweise nur auf Entwicklungen auf Ebene des Bundes und der EU ein. Ausnahmsweise soll jedoch auf einen gesetzgeberischen Vorstoß in Nordrhein-Westfalen hingewiesen werden, der darauf abzielt, die Anwendung von UVgO und VOB/A für Kommunen nicht mehr vorzugeben (Entwurf für ein „Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen“, LT-Drs. 18/3597 vom 13.02.2025).

Im Hinblick auf die derzeit in zahlreichen Bundesländern und auch auf Ebene des Bundes erfolgten Anhebungen der Wertgrenzen sei auf den Bericht der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ hingewiesen, der unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten steht. Mitgewirkt haben unter anderem die ehemaligen Bundesminister de Maizière und Steinbrück und der Staatsrechtler und langjährige Präsident des BVerfG Andreas Voßkuhle. Dort wird unter anderem eine Angleichung der Landesregelungen und eine Vereinheitlichung dieser Werte angeregt (www.handlungsfaehiger-staat.de).

B. Koalitionsvertrag: Beschaffungsrelevante Aussagen

Im neuen Koalitionsvertrag CDU/CSU/SPD finden sich zahlreiche Aussagen zur Gestaltung des Beschaffungswesens und des Vergaberechts.

Unter der Überschrift „Vereinfachung des Vergaberechts und strategisches Beschaffungsmanagement“ wird die Absicht angekündigt, das Vergaberecht auf nationaler und europäischer Ebene für Lieferungen und Leistungen aller Art für Bund, Länder und Kommunen zu vereinfachen, zu beschleunigen und zu digitalisieren. Dabei soll der Grundsatz der mittelstandsfreundlichen Vergabe weiterhin Beachtung finden. Ferner soll das Vergaberecht auf sein Ziel einer wirtschaftlichen, diskriminierungs- und korruptionsfreien Beschaffung zurückgeführt werden. Weiter wird angekündigt, sektorale Befreiungsmöglichkeiten vom Vergaberecht insbesondere in Fragen der nationalen Sicherheit und für Leitmärkte für emissionsarme Produkte in der Grundstoffindustrie mit einem Pionierfeld für die Deutsche Bahn zu schaffen.

Vorgesehen ist darüber hinaus, die Schwellenwerte für öffentliche Ausschreibungen im nationalen Recht zu vereinheitlichen und sie insbesondere für Direktvergaben und freihändige Vergaben heraufzusetzen. Für die Bundesebene kündigen CDU, CSU und SPD an, die Wertgrenze bei Direktaufträgen für Liefer- und Dienstleistungen auf 100.000 Euro zu erhöhen und sich auch auf europäischer Ebene für eine maßvolle Erhöhung der Schwellenwerte und für eine getrennte Betrachtung der Planungsleistungen einzusetzen.

Darüber hinaus sieht der Vertrag vor, das öffentliche Beschaffungswesen systematisch zu optimieren und dazu ein strategisches Beschaffungsmanagement zu implementieren. Behörden sollen künftig auf Rahmenverträge anderer öffentlicher Dienststellen und auf zentrale Einkaufsplattformen zurückgreifen dürfen. Die Bestellplattform des Bundes (Kaufhaus des Bundes) soll zu einem digitalen Marktplatz für Bund, Länder und Kommunen und Vergabeplattformen konsolidiert werden. Auch der IT-Einkauf des Bundes soll zentral strategisch gesteuert werden, um Abhängigkeiten von monopolistischen Anbietern zu reduzieren und den Digitalstandort Deutschland zu stärken.

Bieter sollen ihre Eignung möglichst bürokratiearm, digital und mittelstandsfreundlich nachweisen können, etwa durch geprüfte Systeme oder Eigenerklärungen.

Schließlich soll Hand an den Vergaberechtsschutz angelegt werden, indem die aufschiebende Wirkung der Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Vergabekammern zu den Oberlandesgerichten entfallen soll. Begründet wird der Vorschlag mit der Beschleunigung der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Es werden gebündelte Service-Einheiten statt Doppelstrukturen für die Erledigung standardisierbarer Aufgaben, unter anderem bei Vergabe und Beschaffungen, angekündigt.

Es sollen Leitmärkte für klimaneutrale Produkte geschaffen werden, z.B. durch Quoten für klimaneutralen Stahl, eine Grüngasquote oder vergaberechtliche Vorgaben.

Der Mittelstand und das Handwerk sollen unter anderem mit flexibleren gesetzlichen Rahmenbedingungen, einfacheren Vergabeverfahren und schnelleren Genehmigungsprozessen unterstützt werden.

Im Themenbereich „Verkehr und Infrastruktur, Bauen und Wohnen“ wird ohne weitere Konkretisierungen angekündigt, zur Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung neben dem Planungs-, Bau-, Umwelt-, und (Verwaltungs-)Verfahrensrecht das Vergaberecht grundsätzlich zu überarbeiten.

Im Bereich „Bildung, Forschung und Innovation“ sollen Bereichsausnahmen für Forschung unter anderem im Umsatzsteuergesetz geschaffen werden und weitere Bereiche, etwa im Vergaberecht, identifiziert werden.

Auch bei „Außen- und Verteidigungspolitik, Entwicklungszusammenarbeit und Menschenrechte“ ist das Vergaberecht angesprochen. Um die erforderliche deutliche Steigerung der jährlichen Investitionen in militärische Infrastruktur zu erreichen, sollen etwa das Haushalts-, und Vergaberecht sowie die Beschaffung vereinfacht werden. Für militärische Bauvorhaben sollen mit einem Bundeswehrinfrastrukturbeschleunigungsgesetz Ausnahmeregelungen unter anderem im Vergaberecht vorgesehen werden.

Unter „Arbeitsrecht“ ist ein Festhalten am Tariftreuegesetz vorgesehen.

C. Bekanntmachung: Befristete Erhöhung von Bauleistungen nach § 3a VOB/A

Am 02.04.2025 wurden Änderungen der VOB/A im Bundesanzeiger veröffentlicht (BAnz AT 02.04.2025 B7).

Bei den Änderungen geht es vorrangig um die befristete Anhebung der Wertgrenzen für Direktaufträge im Unterschwellenbereich in der VOB/A auf 15.000 Euro netto, um eine Angleichung mit der anvisierten Wertgrenze für Direktaufträge in der Unterschwellenvergabeordnung für Liefer- und Dienstleistungen zu erreichen. In der Folge wird auch die Wertgrenze für die freihändige Vergabe von Bauaufträgen auf 25.000 Euro netto befristet erhöht, um einen gewissen Abstand zur neuen Direktauftragswertgrenze zu gewährleisten.

D. Evaluierung der Vergaberechtsmodernisierung und der UVgO

Das Bundeswirtschaftsministerium hat eine Evaluierung des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes (VergRModG) und der Vergaberechtsmodernisierungsverordnung (VergRModVO) veröffentlicht. Anlass ist unter anderem eine entsprechende Vorgabe in der Gesetzesbegründung des VergRModG. Mit dem VergRModG und der VergRModVO wurden 2016 die 2014 beschlossenen EU-Vergaberichtlinien umgesetzt.

In der Evaluierung geht das BMWK aber auch auf weitere Entwicklungen des Vergaberechts seit 2016 ein. Die Auswirkungen der Einführung der UVgO werden genauso erfasst wie z.B. das WRegG und das BwBBG und die Einführung der eForms. Wesentliche Ergebnisse sind:

Bezogen auf den Erfüllungsaufwand haben sich die Erwartungen an die Vergaberechtsreform nicht vollständig erfüllt.

Die Umstellung auf die elektronische Vergabe hat wegen der früheren Nutzung weniger Umstellungsaufwand verursacht als erwartet. Aus dem gleichen Grund sind die Einsparungen auch nicht so hoch ausgefallen wie erwartet. Die durch Destatis nachgemessene Ersparnis durch das VergRModG beträgt immerhin für die Verwaltung 100 Mio. Euro, für die Wirtschaft 333 Mio. Euro. Für die UVgO wurde eine Ersparnis von 265 Mio. Euro für die Verwaltung und 384 Mio. Euro für die Wirtschaft ermittelt.

Die Einführung der Vergabestatistik hat deutlich weniger Mehraufwand verursacht als vorhergesagt wurde. Besonders deutlich bleibt der für die Wirtschaft ermittelte Aufwand von 310.000 Euro hinter dem prognostizierten Wert von 24 Mio. Euro zurück; bei der Verwaltung wurde 1,3 Mio. Euro anstelle prognostizierter 37 Mio. Euro ermittelt.

Die angestrebten Vereinfachungen und Effizienzsteigerungen in den Vergabeverfahren selbst konnten erreicht werden. Das BMWK sieht jedoch noch weitere Möglichkeiten der Vereinfachung. Nachsteuerungsbedarf wird insbesondere bei den Dringlichkeitsvergaben gesehen.

Die Beteiligung von KMU an öffentlichen Aufträgen wird als insgesamt hoch angesehen. Die Chancen von KMU und Start-ups sollen jedoch noch weiter verbessert werden. Insbesondere zu hohe und nicht notwendige Eignungsanforderungen benachteiligen KMU in der Praxis.

Die Möglichkeiten strategischer Beschaffung werden zwar genutzt, aber insgesamt gesehen eher zurückhaltend.

Bei der Evaluierung stützt sich das BMWK auf eine Vielzahl von Quellen. Für den Erfüllungsaufwand werden Daten des Statistischen Bundesamtes genutzt. Dieses erfasst bis zur Ebene einzelner Arbeitsschritte den Aufwand für die Durchführung von Vergabeverfahren für Auftraggeber und Unternehmen. Ausgewertet werden auch Ergebnisse einer Arbeitsgruppe unter der Leitung des (damals noch so benannten) BMWi und des BMI. Außerdem werden die Rückmeldungen aus der Konsultation zum Vergaberechtstransformationsgesetz genutzt. Natürlich fließen auch die Meldungen an die Vergabestatistik in die Auswertung ein.

E. Konsultation und „Call for Evidence“ der Kommission zum öffentlichen Auftragswesen

Am 13.12.2024 hatte die Kommission eine Konsultation gestartet. Sie erfolgt im Vorfeld der bereits im Juli von der Präsidentin von der Leyen angekündigten Revision der EU-Richtlinien für öffentliche Aufträge. Die Konsultation lief bis zum 07.03.2025.

Die Konsultation soll einer Evaluierung der drei EU-Vergaberichtlinien für klassische öffentliche Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und für die Vergabe von Konzessionen (2014/24/EU, 2014/25/EU und 2014/23/EU) dienen. Sie soll zur Klärung der Frage beitragen, ob die genannten Richtlinien so wie beabsichtigt funktionieren.

Die beiden EU-Richtlinien zum Vergaberechtsschutz (RL 89/665/EWG und 92/13/EEC) werden in den Erläuterungen der Kommission zur Konsultation bisher nicht erwähnt. Es erscheint allerdings möglich, dass der Vergaberechtsschutz im Verlauf der Evaluierung thematisiert werden könnte.

Das Gleiche gilt im Hinblick auf die EU-Schwellenwerte.

Neben der Konsultation lief zeitgleich ein „Call for Evidence“ (Aufforderung zur Stellungnahme), wobei es ebenfalls um die Bewertung der vorgenannten drei EU-Vergaberichtlinien ging. Dabei werden seitens der Kommission Hintergrundinformationen zum politischen Kontext gegeben. Es wird auf relevante Dokumente wie den Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs zum öffentlichen Auftragswesen, den Letta-Bericht zum EU-Binnenmarkt und den Draghi-Bericht zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der EU verwiesen, die beide im letzten Jahr veröffentlicht wurden.

Zum Hintergrund des „Call for Evidence“ hatte die EU-Kommission einige Erläuterungen gegeben.

Der Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs von 2023 habe deutlich gemacht, dass weitere Maßnahmen erforderlich seien, um das Problem des Rückgangs des Wettbewerbs bei der Vergabe öffentlicher Aufträge anzugehen und das Potenzial des EU-Markts für öffentliche Aufträge voll auszuschöpfen. In den Berichten von Letta und Draghi werde das öffentliche Auftragswesen als wichtiges Instrument zur Erreichung der Ziele der EU angeführt und auf Herausforderungen und wichtige Fragen hingewiesen, die angegangen werden müssten. Ferner wird darauf hingewiesen, dass Kommissionspräsidentin von der Leyen in ihren politischen Leitlinien für die Kommission 2024-2029 bereits eine Überarbeitung der Richtlinien zur öffentliche Auftragsvergabe angekündigt habe. Dies ziele darauf ab, europäischen Produkten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in bestimmten strategischen Sektoren den Vorzug zu geben, in der EU Mehrwert und Versorgungssicherheit in Bezug auf wesentliche Technologien, Produkte und Dienstleistungen zu gewährleisten und die Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe insbesondere mit Blick auf Start-ups und Innovatoren zu modernisieren und zu vereinfachen.

Die Kommission bekräftigt erneut, dass die Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe von entscheidender Bedeutung seien, um die globale Wettbewerbsfähigkeit der EU zu gewährleisten. Sie gehörten zu den wichtigsten Hebeln der EU, um innovative Waren und Dienstleistungen zu entwickeln und Leitmärkte für saubere und strategische Technologien zu schaffen.

Die Kommission hat nunmehr eine Bewertung der drei eingangs genannten EU-Vergaberichtlinien eingeleitet. Dabei sollen ihre Leistung und ihre Auswirkungen in der gesamten EU überprüft werden, und es soll ermittelt werden, ob die Richtlinien weiterhin ihren Zweck erfüllen, ob sie ihre angestrebten Ziele erreichen und ob sie geeignet sind, den aktuellen Herausforderungen zu begegnen.

Die Bewertung erstreckt sich auf einen Zeitraum von acht Jahren (2016-2024) und erfasst alle EU- und EWR-Mitgliedstaaten. Ein Teil der Bewertung wird eine eingehende Analyse des Wettbewerbs auf dem EU-Markt für öffentliche Aufträge sein. Die Bewertung wird auf folgenden Kriterien beruhen:

• Wirksamkeit: Bewertung, ob die Richtlinien ihre Ziele wirksam erreicht haben, insbesondere ihr Beitrag zum Wettbewerb im Binnenmarkt, zu einer stärkeren Beteiligung von KMU an Vergabeverfahren, zur Vereinfachung und Flexibilität der Vergabeverfahren; ferner ihr Beitrag zu Transparenz und Integrität der öffentlichen Ausgaben, zur effizienten Verwendung öffentlicher Mittel und zu einer grüneren, sozialeren und innovativeren EU-Wirtschaft;

• Effizienz: Bewertung von Kosten und Nutzen der Richtlinien sowohl für öffentliche Auftraggeber als auch für Wirtschaftsteilnehmer, darunter auch KMU;

• Relevanz: Bewertung, ob die Richtlinien weiterhin auf den sich wandelnden Kontext und die Bedürfnisse von Auftraggebern, Lieferanten und Nutzern eingehen;

• Kohärenz: Bewertung, ob die Richtlinien intern und extern mit anderen Maßnahmen der EU kohärent sind;

• EU-Mehrwert: Bewertung, wie die Richtlinien dazu beigetragen haben, die nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe zu harmonisieren und die rechtliche Fragmentierung zu verringern; ferner Eruierung, ob die Richtlinien den erwarteten Nutzen erbracht haben, z.B. in Bezug auf fairen Wettbewerb im gesamten Binnenmarkt, Umsetzung der EU-Politik, Transparenz etc.


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