juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 2. Senat, Urteil vom 25.09.2024 - II R 36/21
Autor:Prof. Dr. Matthias Loose, RiBFH
Erscheinungsdatum:19.05.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 118 FGO, § 155 FGO, § 1 GrEStG 1983, § 1 UmwG 1995, § 6a GrEStG 1983, Art 100 GG, § 152 AO 1977, § 19 GrEStG 1983, EGRL 7/2008, 12008E049, 12008E063, 12008E107
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 20/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Loose, jurisPR-SteuerR 20/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Anwendung des § 6a GrEStG auf Anteilsübertragungen im Ausland



Leitsätze

1. Die sogenannte Verlängerung der Beteiligungskette, bei der der übertragende Alleingesellschafter zugleich Alleingesellschafter der erwerbenden Gesellschaft ist, unterliegt auch bei ausländischen Gesellschaften nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 und 4 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) der Grunderwerbsteuer, wenn der Gesellschaft, deren Anteile übertragen werden, ein inländisches Grundstück gehört.
2. Ob die nach der maßgeblichen ausländischen Rechtsordnung zu beurteilenden Rechtsvorgänge einer nach § 6a GrEStG begünstigten Umwandlung entsprechen, hat das Finanzgericht anhand des dafür maßgebenden ausländischen Rechts von Amts wegen zu ermitteln. Eine Revision kann nicht darauf gestützt werden, dass die Vorentscheidung auf der fehlerhaften Anwendung ausländischen Rechts beruht.
3. § 1 Abs. 3 GrEStG verstößt nicht gegen die Richtlinie 2008/7/EG des Rates vom 12.02.2008 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (Amtsblatt der Europäischen Union 2008, Nr. L 46, 11).
4. Die Nichtanwendung des § 6a GrEStG bei der Übertragung von Anteilen an einer grundbesitzenden Gesellschaft auf eine ausländische Gesellschaft verstößt weder gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV) noch gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 AEUV). Es liegt auch keine gegen EU-Recht verstoßende Beihilfe vor (Art. 107 Abs. 1 AEUV).



A.
Problemstellung
Streitig war die Anwendung der Steuerbefreiung nach § 6a GrEStG auf Anteilsübertragungen im Ausland.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Anfang August 2010 war die in Irland ansässige A Unlimited (A) alleinige Gesellschafterin der ebenfalls in Irland ansässigen B Limited (B). B war Alleingesellschafterin weiterer Gesellschaften, die ihrerseits an Gesellschaften beteiligt waren, die über inländischen Grundbesitz verfügten. Andere Gesellschafter waren an diesen grundbesitzenden Gesellschaften nicht beteiligt. Die inländischen Grundstücke der grundbesitzenden Gesellschaften lagen in den Bezirken verschiedener Finanzämter, der wertvollste Bestand an Grundstücken befand sich im Bezirk des Finanzamts.
Die Klägerin wurde am 11.08.2010 auf der Grundlage des „BVI Business Companies Act 2004“ gegründet. Der Sitz der Klägerin befand sich auf den Britischen Jungferninseln. Sie wurde in das dortige Register eingetragen. Alleinige Gesellschafterin war A. Am 27.08.2010 übertrug A alle Anteile an der B auf die Klägerin. Dieser Rechtsvorgang wurde der deutschen Finanzverwaltung zunächst nicht angezeigt. 2015 stellte sich anlässlich einer Außenprüfung durch das zuständige Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung X die Frage nach der grunderwerbsteuerlichen Relevanz der Anteilsübertragung. Die Prüfer gelangten zu dem Ergebnis, dass ein Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG vorliege und die Voraussetzungen des § 6a GrEStG nicht erfüllt seien. Das FA folgte der Auffassung der Betriebsprüfung und erließ am 29.08.2016 gegenüber der Klägerin einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer aufgrund des Übertragungsvertrages vom 27.08.2010. Darüber hinaus setzte das FA gegenüber der Klägerin durch Bescheid vom 29.08.2016 einen Verspätungszuschlag i.H.v. 25.000 Euro fest.
Die Klägerin legte gegen den Feststellungsbescheid und die Festsetzung des Verspätungszuschlags Einspruch ein. Das FA wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 16.03.2017 als unbegründet zurück. Die dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Dasselbe gilt für das Revisionsverfahren. Nach Auffassung des BFH ist das FG zutreffend davon ausgegangen, dass die Übertragung der Anteile der A an der grundbesitzenden B auf die Klägerin durch Vertrag vom 27.08.2010 nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegt und dafür die Steuerbefreiung des § 6a GrEStG nicht zu gewähren ist. Eine Aussetzung des Verfahrens wegen einer Vorlage an den EuGH kam nach Auffassung des BFH nicht in Betracht. Zutreffend sei das FG auch davon ausgegangen, dass das FA den Verspätungszuschlag ermessensfehlerfrei festgesetzt habe.


C.
Kontext der Entscheidung
Zunächst stellte sich die Frage, ob die hier – nach ausländischem Recht – vorgenommene sog. Verlängerung der Beteiligungskette überhaupt der Grunderwerbsteuer unterliegt. Ausgangspunkt ist § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG, wonach ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95% (heute 90%) der Anteile einer Gesellschaft begründet, der Grunderwerbsteuer unterliegt, wenn zum Vermögen der Gesellschaft ein inländisches Grundstück gehört und eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG (heute § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG) nicht in Betracht kommt. Nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG gilt Entsprechendes bei der Übertragung unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95% (heute 90%) der Anteile der Gesellschaft auf einen anderen, wenn kein schuldrechtliches Geschäft i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG vorausgegangen ist. Der BFH hat klargestellt, dass dies auch bei einer sog. Verlängerung der Beteiligungskette gilt. Es sei für die Tatbestandsverwirklichung unerheblich, ob sich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nichts an der Zuordnung der Grundstücke ändert. Zuvor hatte er bereits entschieden, dass die Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG nicht ausgeschlossen ist, wenn der alle Anteile an einer Gesellschaft Übertragende zugleich Alleingesellschafter der die Anteile erwerbenden Gesellschaft ist – sogenannte Verlängerung der Beteiligungskette (BFH, Urt. v. 25.11.2015 - II R 64/08 Rn. 15 m.w.N. - BFH/NV 2016, 420).
Ist danach die Anteilsübertragung auf die „zwischengeschaltete“ Gesellschaft steuerbar, stellt sich die Frage, ob die Grunderwerbsteuer gleichwohl nach § 6a GrEStG nicht erhoben wird. Nach § 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG wird die Steuer für einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 bis 3a GrEStG steuerbaren Rechtsvorgang aufgrund einer Umwandlung i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UmwG nicht erhoben. Nach § 6a Satz 2 GrEStG gilt Satz 1 auch für entsprechende Umwandlungen aufgrund des Rechts eines Mitgliedstaats der EU oder eines Staats, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) Anwendung findet. Ob die nach der maßgeblichen ausländischen Rechtsordnung zu beurteilenden Rechtsvorgänge einer nach § 6a GrEStG begünstigten Umwandlung entsprechen, hat das FG anhand des dafür maßgebenden ausländischen Rechts von Amts wegen zu ermitteln (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 293 ZPO; BFH, Urt. v. 25.06.2021 - II R 13/19 Rn. 20 m.w.N. - BFHE 275, 231 = BStBl II 2022, 481). Eine Revision kann nicht darauf gestützt werden, dass die Vorentscheidung auf der fehlerhaften Anwendung ausländischen Rechts beruhe, da ausländisches Recht nicht zum „Bundesrecht“ i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO gehört. Vielmehr sind die Feststellungen über das Bestehen und den Inhalt ausländischen Rechts für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 560 ZPO). Sie sind revisionsrechtlich wie Tatsachenfeststellungen zu behandeln. Diese Grundsätze gelten nach Auffassung des BFH auch für die Feststellung, ob eine nach einer ausländischen Rechtsnorm durchgeführte Umstrukturierung einer Umwandlung i.S.d. § 6a GrEStG entspricht (vgl. BFH, Urt. v. 21.08.2019 - II R 21/19 (II R 56/15) Rn. 35 - BFHE 266, 361 = BStBl II 2020, 344).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Der Streitfall ist also sowohl im Hinblick auf die Steuerbarkeit nach § 1 Abs. 3 GrEStG als auch auf die Anwendung der Steuerbefreiungsnorm § 6a GrEStG von praktischer Bedeutung. Auch Anteilsübertragungen im Ausland können zu einer Besteuerung im Inland führen. Ob die Anteilsübertragung nach ausländischem Recht einem Umwandlungsvorgang jedoch nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UmwG entspricht, muss vor dem Finanzgericht diskutiert und ggf. erstritten werden. In einem Revisionsverfahren kann man mit den entsprechenden Argumenten nicht mehr gehört werden. Der BFH sah auch von einer Vorlage an den EuGH ab, weil der vorliegende Fall weder die Frage nach einem Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV), die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 AEUV), die sog. Kapitalansammlungsrichtlinie noch die nach einer gegen EU-Recht verstoßenden Beihilfe (Art. 107 Abs. 1 AEUV) aufwerfe. Er hatte auch keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 6a GrEStG und sah daher auch von einer Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG ab.
Für die Praxis nicht uninteressant sind auch die Ausführungen zum Verspätungszuschlag. Die Voraussetzungen für eine Festsetzung eines Verspätungszuschlags nach § 152 Abs. 1 AO lagen hier vor. Bei der Anzeige nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 bzw. 7, Abs. 3 GrEStG handelt es sich um eine Steuererklärung i.S.d. Abgabenordnung (§ 19 Abs. 5 GrEStG). Die Klägerin hat diese Anzeige nicht innerhalb der dafür vorgesehenen Frist von zwei Wochen erstattet. Der Erwerbsvorgang wurde erst anlässlich der Prüfung durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung X aufgegriffen. Auswahlermessen und Höhe des Verspätungszuschlags waren nicht zu beanstanden.



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