juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 8. Senat, Urteil vom 18.06.2024 - VIII R 32/20
Autor:Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel, Vors. Ri’inBFH
Erscheinungsdatum:17.03.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 173 AO 1977, § 6 EStG, § 9 EStG, § 9a EStG, § 10 EStG, § 32a EStG, Art 3 GG, § 24b EStG, Art 100 GG, § 32 EStG, Art 6 GG, § 74 FGO, § 19 EStG, § 8 EStG, § 165 AO 1977, § 236 AO 1977, § 233a AO 1977, § 12 EStG, § 32d EStG, § 20 EStG
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 11/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Jachmann-Michel, jurisPR-SteuerR 11/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Vorteilsminderung bei der 1%-Regelung - Prozesszinsen als Kapitaleinkünfte



Leitsätze

1. Es können nur solche vom Arbeitnehmer getragenen Aufwendungen den geldwerten Vorteil aus der Überlassung des Fahrzeugs als Einzelkosten mindern, die bei einer (hypothetischen) Kostentragung durch den Arbeitgeber Bestandteil dieses Vorteils und somit von der Abgeltungswirkung der 1%-Regelung erfasst wären.
2. Prozesszinsen (§ 236 der Abgabenordnung) sind steuerbare und steuerpflichtige Kapitalerträge nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes.



A.
Problemstellung
Vorliegend hatte der BFH neben Themen der Familienbesteuerung Alleinerziehender zwei grundsätzliche Fragestellungen zu klären. Zum einen, welche vom Arbeitnehmer getragenen Aufwendungen den geldwerten Vorteil aus der Überlassung des Fahrzeugs als Einzelkosten mindern (dazu B.-D.), zum anderen die Steuerbarkeit von Prozesszinsen.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger erzielte 2017 (Streitjahr) unter anderem Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, selbstständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen. Die beiden Kinder des Klägers, die sich beide im Streitjahr in Ausbildung befanden, lebten mit ihm in der gemeinsamen Wohnung.
In seiner Einkommensteuererklärung machte der Kläger bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit unter anderem geltend, der geldwerte Vorteil aus der Nutzungsüberlassung eines Dienstwagens zur Privatnutzung, den er nach der 1%-Regelung ermittelte, sei um selbst getragene Maut-, Fähr-, Benzin- und Parkkosten sowie die Absetzung für Abnutzung (AfA) eines privat angeschafften Fahrradträgers für den Dienstwagen zu mindern. Die Maut- und Fähraufwendungen betreffen nach den Feststellungen des FG private Urlaubsreisen und Fahrten des Klägers. Die Parkkosten betreffen die Wahrnehmung eines Termins durch den Kläger vor dem BFH. Die übrigen Parkkosten sind anlässlich der Nutzung des Dienstwagens für Urlaubsfahrten des Klägers angefallen. Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr lehnte das beklagte FA die begehrte Minderung des geldwerten Vorteils aus der Nutzungsüberlassung des Dienstwagens ab.
Bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit berücksichtigte das FA den Arbeitnehmer-Pauschbetrag i.H.v. 1.000 Euro (§ 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung). Es ging von tatsächlich entstandenen Werbungskosten i.H.v. insgesamt 778 Euro aus. Den Werbungskostenabzug für eine dreiteilige Anzugkombination (Business-Dreiteiler) versagte das FA.
Bei den Einkünften aus Kapitalvermögen erfasste das FA an den Kläger gezahlte Zinsen zur Einkommensteuer 2008 i.H.v. … Euro als Einnahmen. Die Zinsen beruhen auf der Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 2008. Der Sparer-Pauschbetrag blieb unberücksichtigt. Der Kläger hatte im Besteuerungsverfahren ausgeführt, dieser sei bereits über den erteilten Freistellungsauftrag ausgeschöpft. Das FA setzte die Einkommensteuer auf … Euro fest.
Der Einkommensteuerbescheid ist teilweise gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig. Zum Umfang der Vorläufigkeit ist – im Hinblick auf das beim BVerfG anhängige Normenkontrollverfahren 2 BvL 3/17 – unter anderem vermerkt:
„Die Festsetzung der Einkommensteuer ist gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig hinsichtlich der Höhe der kindbezogenen Freibeträge nach § 32 Abs. 6 Sätze 1 und 2 EStG.
Die Vorläufigkeitserklärung erfasst sowohl die Frage, ob die angeführten gesetzlichen Vorschriften mit höherrangigem Recht vereinbar sind, als auch den Fall, dass das BVerfG oder der BFH die streitige verfassungsrechtliche Frage durch verfassungskonforme Auslegung der angeführten gesetzlichen Vorschriften entscheidet […].“
Gegen den Einkommensteuerbescheid hat der Kläger Sprungklage zum FG erhoben, die mangels Zustimmung des FA als Einspruch zu behandeln war. Im Einspruchsverfahren machte er neben der unberücksichtigt gebliebenen Vorteilsminderung geltend, es seien bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit aufgrund weiterer zu berücksichtigender Aufwendungen (Business-Dreiteiler) die – den Pauschbetrag übersteigenden – tatsächlichen Werbungskosten anzusetzen. Des Weiteren seien die von ihm vereinnahmten Zinsen zur Einkommensteuer 2008 mangels Einkünfteerzielungsabsicht nicht steuerbar. Im Übrigen machte der Kläger geltend, die Kinderfreibeträge (§ 32 Abs. 6 Satz 1 EStG) seien verfassungswidrig zu niedrig. Aus verfassungsrechtlichen Gründen müsse bei ihm zudem der Splittingtarif angewandt werden.
In der Einspruchsentscheidung half das FA dem Begehren des Klägers insoweit ab, als es die vom Kläger vereinnahmten Zinsen nur noch i.H.v. … Euro als Kapitaleinkünfte ansetzte. Außerdem berücksichtigte es einen höheren Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG). Es setzte die Einkommensteuer auf … Euro fest. Im Übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück. Der Umfang der Vorläufigkeit blieb unverändert.
Mit der dagegen erhobenen Klage begehrte der Kläger zudem die Berücksichtigung von anteiligen Prozesskosten des Verfahrens XX (Gerichtskosten) i.H.v. … Euro als weitere Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit.
Nach Klageerhebung hat das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert, die Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit für die Privatnutzung des Dienstwagens auf Grundlage eines höheren Bruttolistenpreises des Dienstwagens erhöht und die Einkommensteuer auf … Euro festgesetzt.
Mit weiterem Änderungsbescheid berücksichtigte das FA die vom Kläger selbst getragenen Benzinkosten als vorteilsmindernde Aufwendungen bei der Bemessung der Nutzungsüberlassung des Dienstwagens für Privatfahrten und setzte die Einkommensteuer auf … Euro fest.
Das FG hat die Klage abgewiesen. Auch die Revision war erfolglos. Der BFH führte zur Begründung aus:
I. Der Vorteil des Klägers, seinen Dienstwagen auch privat nutzen zu können, ist nach der 1%-Regelung bewertet worden (vgl. § 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 EStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG). Die vom Kläger getragenen Maut-, Fähr- und Parkkosten sowie die AfA für den Fahrradträger mindern nicht den Vorteil aus der Zurverfügungstellung des Fahrzeugs.
Die vom Kläger im Streitfall getragenen Aufwendungen (Maut-, Fähr- und Parkkosten sowie die AfA für den Fahrradträger) sind keine an den Arbeitgeber gezahlten Nutzungsentgelte, zeitraumbezogene Einmalzahlungen oder übernommene Anschaffungskosten des Dienstwagens.
Weiter mindern nur solche vom Arbeitnehmer vertraglich übernommenen und getragenen Aufwendungen den Vorteil aus der Überlassung des Fahrzeugs, die bei einer (hypothetischen) Kostentragung durch den Arbeitgeber Bestandteil dieses Vorteils und somit von der Abgeltungswirkung der 1%-Regelung erfasst wären. Dies ist weder in Bezug auf die Maut- und Fährkosten noch in Bezug auf die Parkkosten und die AfA für den Fahrradträger der Fall.
Zur Übernahme von Maut- und Vignettenkosten, denen die Fährkosten gleichstehen, durch den Arbeitgeber hat der VI. Senat des BFH entschieden, dass darin in Abgrenzung zur Nutzungsüberlassung des Fahrzeugs die Zuwendung eines weiteren (eigenständigen) geldwerten Vorteils liege, der nicht von der Abgeltungswirkung der 1%-Regelung erfasst werde, da diese vom Arbeitgeber getragenen Kosten nicht unter die Aufwendungen i.S.v. § 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 EStG fallen (BFH, Urt. v. 14.09.2005 - VI R 37/03 Rn. 13 - BStBl II 2006, 72).
Erfasst werden von § 8 Abs. 2 Sätze 2 ff. EStG neben den von der Fahrleistung abhängigen Aufwendungen für Treib- und Schmierstoffe auch die regelmäßig wiederkehrenden festen Kosten, etwa für die Haftpflichtversicherung, Kraftfahrzeugsteuer, AfA und Garagenmiete (BFH, Urt. v. 14.09.2005 - VI R 37/03 Rn. 17 - BStBl II 2006, 72). Diesen Aufwendungen ist gemein, dass sie sich entweder – wie die festen Kosten – den einzelnen Fahrten nicht unmittelbar zuordnen lassen oder dass sie – soweit sie von der Fahrleistung abhängig sind – bei unterstelltem gleichmäßigem Kraftstoffverbrauch unabhängig davon in gleicher Höhe anfallen, ob eine bestimmte Fahrtstrecke aus privatem oder aus beruflichem Anlass zurückgelegt worden ist. Zudem hat sich der VI. Senat von Vereinfachungsüberlegungen für die Einkünfteermittlung leiten lassen.
Der erkennende Senat entnimmt dieser Rechtsprechung über den entschiedenen Streitfall hinaus den Grundsatz, dass die Übernahme von Kosten durch den Arbeitgeber für Privatfahrten des Arbeitnehmers zu den von diesem bestimmten Zielen außerhalb des mit der 1%-Regelung abgegoltenen Vorteils liegt, ein betriebs- und fahrbereites Fahrzeug nutzen zu können, und einen eigenständigen geldwerten Vorteil begründet. Daraus ergibt sich, dass entsprechende Aufwendungen des Arbeitnehmers den geldwerten Vorteil nicht mindern. Dies gilt insbesondere für die vom Kläger getragenen Fähr- und Mautkosten.
Auch die übrigen Aufwendungen des Klägers (Parkkosten und die AfA für den Fahrradträger) können nach dieser Maßgabe nicht vorteilsmindernd sein. Denn insoweit handelte es sich, wenn der Arbeitgeber die Kosten getragen hätte, um eigenständige geldwerte Vorteile, die zu dem Vorteil der Fahrzeugüberlassung hinzuträten. Auch diese Kosten hängen ausschließlich von der Entscheidung des Arbeitnehmers ab, das Fahrzeug für einen bestimmten Zweck zu verwenden oder ein bestimmtes Ziel aufzusuchen und können deshalb, wenn sie vom Arbeitnehmer getragen werden, den geldwerten Vorteil nicht mindern.
Ein Werbungskostenabzug für die auf die Privatnutzung des Dienstwagens entfallenden Maut-, Fähr- und Parkkosten sowie die AfA des Fahrradträgers scheitert an der ausschließlich privaten Veranlassung dieser Kosten für die Haushaltsführung des Klägers. Sie sind daher gemäß § 12 Nr. 1 EStG nicht abzugsfähig.
II. Das FG hat auch zutreffend entschieden, dass der Kläger keine Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit in einem Umfang getragen hat, die zu einem Abzug oberhalb des bereits gewährten Arbeitnehmer-Pauschbetrags (§ 9a Satz 1 Nr. 1a EStG) i.H.v. 1.000 Euro führen.
1. Die Anschaffungskosten der dreiteiligen Anzugkombination (Business-Dreiteiler) hat das FG zu Recht weder vollumfänglich noch anteilig als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit anerkannt. Es handelt sich hierbei nicht um typische Berufskleidung i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG, sondern um bürgerliche Kleidung.
2. Das FG hat ebenfalls zutreffend entschieden, dass die anteiligen Gerichtskosten, die der Kläger für das Verfahren XX i.H.v. … Euro gezahlt hat, als Prozesskosten zwar dem Grunde nach Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbstständiger Arbeit sind (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG), aber nicht zu einem höheren Abzug von Werbungskosten oberhalb des gewährten Arbeitnehmer-Pauschbetrags führen.
3. Ob die vom Kläger gezahlte Parkgebühr, die dieser anlässlich einer gerichtlichen Verhandlung geleistet hat, ebenfalls zu den Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit gehört, hat der Senat nicht zu klären. Selbst wenn diese Aufwendung dem Grunde nach als Werbungskosten aus nichtselbstständiger Arbeit zu qualifizieren wäre, käme weiterhin der höhere und bereits gewährte Arbeitnehmer-Pauschbetrag (§ 9a Satz 1 Nr. 1a EStG) zum Ansatz.
4. Das FG hat die vom Kläger vereinnahmten Zinsen i.H.v. … Euro zutreffend zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gerechnet (dazu sub E.).
III. Ein Abzug der anteiligen Prozesskosten, die der Kläger für das Verfahren XX i.H.v. … Euro gezahlt hat, als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG scheidet aus. Wie ausgeführt, handelt es sich bei den Prozesskosten dem Grunde nach um Werbungskosten.
IV. Das FG hat die Kinderfreibeträge für die beiden Kinder des Klägers in Übereinstimmung mit § 32 Abs. 6 Satz 1, Satz 3 Nr. 1 EStG i.H.v. jeweils 4.716 Euro pro Kind zutreffend berücksichtigt.
V. Das FG hat die festzusetzende Einkommensteuer des Klägers für das Streitjahr zu Recht nach dem Grundtarif unter Ansatz des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende (§ 24b EStG) und nicht nach dem Splittingtarif ermittelt. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Ehegatten- beziehungsweise Witwensplittings gemäß § 32a Abs. 5 EStG beziehungsweise § 32a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 EStG lagen im Streitjahr unstreitig nicht vor.
VI. Das Verfahren war nicht auszusetzen, um eine Entscheidung des BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG einzuholen. Der Senat ist nicht zu der für eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG erforderlichen Überzeugung gelangt (dazu BVerfG, Beschl. v. 17.07.2019 - 2 BvL 10/19 Rn. 16), dass die Versagung des Splittingtarifs für verwitwete Alleinerziehende (II.7.a) sowie die gesamte Familienbesteuerung (II.7.b) verfassungswidrig sind. Soweit der Kläger die Verfassungswidrigkeit der Kinderfreibeträge gemäß § 32 Abs. 6 EStG geltend macht, fehlt es an der Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage (II.7.c).
1. Der Senat erachtet die vom Kläger vorgebrachten Argumente für seine Auffassung, ein Anspruch verwitweter Alleinerziehender auf Anwendung des Splittingtarifs ergebe sich aus dem aus Art. 3 GG abzuleitenden Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beziehungsweise aus Art. 6 Abs. 1 GG, im Ergebnis nicht für durchgreifend. Er schließt sich insoweit den Erwägungen des III. Senats des BFH an in den Beschlüssen vom 17.01.2017 (III B 20/16 Rn. 28 - BFH/NV 2017, 740; die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.09.2018 - 2 BvR 745/18), vom 27.05.2013 (III B 2/13 - BFH/NV 2013, 1406; die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.07.2015 - 2 BvR 1519/13) vom 29.09.2016 (III R 62/13 Rn. 18 ff. - BStBl II 2017, 259; die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.09.2018 - 2 BvR 221/17).
2. Dies gilt im Ergebnis auch für die vom Kläger vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Besteuerung der Alleinerzieherfamilie des Klägers durch das Zusammenspiel der kindbezogenen Kinderfreibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG, des Haushaltsfreibetrags für Alleinerziehende (§ 24b EStG) und des in § 32a EStG berücksichtigten Existenzminimums (vgl. BFH, Beschl. v. 27.05.2013 - III B 2/13 Rn. 15 m.w.N. - BFH/NV 2013, 1406; die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.07.2015 - 2 BvR 1519/13).
3. Eine Entscheidung des BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist auch nicht zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Kinderfreibeträge nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG einzuholen. Es fehlt an der Klärungsfähigkeit dieser Rechtsfrage im Streitfall. Bei der Entscheidung des Rechtsstreits kommt es auf die Gültigkeit von § 32 Abs. 6 EStG nicht an, weil hierfür kein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Es ist dem Kläger zuzumuten, den Ausgang des beim BVerfG anhängigen Verfahrens 2 BvL 3/17 (anhängig seit April 2017) abzuwarten.
Dem Kläger war und ist zuzumuten, aufgrund des bestehenden Vorläufigkeitsvermerks den Ausgang des beim BVerfG anhängigen Normenkontrollverfahrens 2 BvL 3/17 (anhängig seit April 2017) abzuwarten.
Der Kläger hält die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Kinderfreibeträge in § 32 Abs. 6 EStG für gleichheitswidrig und sieht einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG. Es verstoße insbesondere gegen den Grundsatz der Steuerfreistellung des Existenzminimums und sei von der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers nicht gedeckt, dass den Kinderfreibeträgen ein nach Lebensalter gewichteter Durchschnittsbetrag der sozialrechtlichen Regelsätze zugrunde liege, der zudem volljährige Kinder einbeziehe. Des Weiteren macht der Kläger geltend, der in den sozialrechtlichen Regelsätzen berücksichtigte Wohnbedarf eines Kindes sei gleichheitswidrig.
Die im vorliegenden Verfahren vom Kläger aufgeworfenen Fragen und das beim BVerfG anhängige Musterverfahren sind hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Streitfrage im Wesentlichen gleichgelagert.
Welche konkreten Erfolgsaussichten das beim BVerfG anhängige Musterverfahren hat, muss der erkennende Senat nicht beurteilen. Das Verfahren erscheint jedenfalls nicht als von vornherein aussichtslos und damit als Musterverfahren im Rahmen eines Vorläufigkeitsvermerks ungeeignet.
Der Kläger erleidet zudem keine unzumutbaren Rechtsnachteile, wenn die materiell-rechtliche Frage in dem Musterverfahren 2 BvL 3/17 nicht geklärt werden sollte. Er kann nach Erledigung des Musterverfahrens gemäß § 165 Abs. 2 Satz 4 AO beantragen, dass die Erfassung der Kinderfreibeträge für endgültig erklärt wird, und gegen die dann auch insoweit endgültige Festsetzung Einspruch einlegen und ggf. anschließend Klage zur weiteren verfassungsrechtlichen Klärung erheben. Erklärt das FA die mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehene Erfassung der Kinderfreibeträge für endgültig oder entfällt der Vorläufigkeitsvermerk in einem geänderten Bescheid, sind ebenfalls Einspruch und ggf. Klage möglich. Die dadurch entstehende zeitliche Verzögerung ist – entgegen der Auffassung des Klägers – hinzunehmen (vgl. BFH, Urt. v. 26.09.2023 - IX R 9/22 Rn. 28 m.w.N. - BStBl II 2024, 282; Anm. Reddig, jurisPR-SteuerR 3/2024 Anm. 1).
Der Senat hält es für ermessensgerecht, den Streitfall zu entscheiden und das Revisionsverfahren nicht gemäß § 74 FGO bis zum Abschluss des Musterverfahrens 2 BvL 3/17 auszusetzen. Der Streitfall ist bis auf die verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen bezüglich der Kinderfreibeträge entscheidungsreif. Letzteren wird durch den Vorläufigkeitsvermerk Rechnung getragen. Deshalb kann der Senat ohne drohenden Rechtsverlust für den Kläger im Streitfall entscheiden.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Überlässt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer unentgeltlich oder verbilligt einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung, führt das zu einem als Lohnzufluss nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu erfassenden steuerbaren Nutzungsvorteil des Arbeitnehmers.
Der VI. Senat des BFH hat entschieden, dass gezahlte Nutzungsentgelte, die der Arbeitnehmer an den Arbeitgeber für die außerdienstliche Nutzung (Nutzung zu privaten Fahrten und zu Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte) leistet, den Wert des geldwerten Vorteils aus der Nutzungsüberlassung mindern. Denn insoweit fehlt es an einer Bereicherung des Arbeitnehmers und damit an einer Grundvoraussetzung für das Vorliegen von Arbeitslohn i.S.d. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (vgl. BFH, Urt. v. 30.11.2016 - VI R 2/15 Rn. 12 ff. m.w.N. - BStBl II 2017, 1014; Anm. Geserich, jurisPR-SteuerR 14/2017 Anm. 1). Der steuerbare Vorteil des Arbeitnehmers, den ihm der Arbeitgeber mit der Überlassung des Dienstwagens einräumt, besteht lediglich in der Differenz zwischen dem Wert der Nutzungsüberlassung nach § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG und dem vom Arbeitnehmer zu zahlenden Nutzungsentgelt (vgl. BFH, Urt. v. 04.07.2023 - VIII R 29/20 Rn. 29 - BStBl II 2023, 1005). Auch wird der geldwerte Vorteil aus der Nutzungsüberlassung gemindert, wenn der Arbeitnehmer zeitraumbezogene Einmalzahlungen für die außerdienstliche Nutzung leistet oder einen Teil oder die gesamten Anschaffungskosten für den betrieblichen PKW übernimmt (BFH, Urt. v. 16.12.2020 - VI R 19/18 Rn. 22, 24 - BStBl II 2021, 761).
Ferner mindert sich der Vorteil des Arbeitnehmers aus der Überlassung des Fahrzeugs, soweit der Arbeitnehmer im Rahmen der privaten Nutzung einzelne (nutzungsabhängige) Kraftfahrzeugkosten übernimmt (vgl. BFH, Urt. v. 30.11.2016 - VI R 2/15 Rn. 14 ff. - BStBl II 2017, 1014; Geserich, jurisPR-SteuerR 10/2017 Anm. 1). Er muss insoweit gegenüber dem Arbeitgeber zur Tragung dieser Aufwendungen für das überlassene Fahrzeug vertraglich verpflichtet sein (BFH, Urt. v. 04.07.2023 - VIII R 29/20 Rn. 32 - BStBl II 2023, 1005).
II. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Steuerbescheid in dem verfassungsrechtlichen Streitpunkt gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig ergangen ist, diese Streitfrage sich in einer Vielzahl im Wesentlichen gleich gelagerter Verfahren (Massenverfahren) stellt und bereits ein nicht von vornherein aussichtsloses Musterverfahren beim BVerfG anhängig ist (vgl. BFH, Urt. v. 26.09.2023 - IX R 9/22 - BStBl II 2024, 282 Rn. 18 m.w.N.; Anm. Reddig, jurisPR-SteuerR 3/2024 Anm. 1).
Liegen diese Voraussetzungen vor, muss ein Steuerpflichtiger im Allgemeinen die Klärung der Streitfrage in dem Musterverfahren abwarten, ohne dadurch unzumutbare Rechtsnachteile zu erleiden. Eine weitere verfassungsrechtliche Klärung in eigener Sache kann der Steuerpflichtige ggf. später durch Rechtsbehelfe gegen die von der Finanzbehörde nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO zu treffende Entscheidung herbeiführen, wenn ihm nach Ausgang des Musterverfahrens die Streitfrage nicht ausreichend beantwortet erscheint.
Klage- und Musterverfahren müssen hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Streitfrage im Wesentlichen gleichgelagert sein. In dem Musterverfahren darf es nicht um einen anderen Sachverhalt gehen, der zusätzliche, möglicherweise sogar vorrangige Streitfragen aufwirft. Klage- und Musterverfahren müssen zudem dieselben Vorschriften, nicht aber notwendig dasselbe Streitjahr betreffen. Notwendig ist allein, dass sich das Klageverfahren durch die Entscheidung in dem bereits anhängigen verfassungsrechtlichen Musterverfahren „sicher“ erledigen lässt (vgl. BFH, Urt. v. 26.09.2023 - IX R 9/22 Rn. 19 - BStBl II 2024, 282; BFH, Beschl. v. 22.03.1996 - III B 173/95 - BStBl II 1996, 506, unter II.2.).
Die Anforderungen für die Annahme eines nicht von vornherein aussichtslosen Musterverfahrens, das beim BVerfG anhängig ist, dürfen allerdings nicht überspannt werden (vgl. BFH, Beschl. v. 26.09.2023 - IX R 9/22 Rn. 20 - BStBl II 2024, 282). Die in dem Musterverfahren geltend gemachten Argumente dürfen nicht so wenig Gewicht haben, dass dem Verfahren von vornherein eine Erfolgsaussicht abzusprechen ist (vgl. BFH, Beschl. v. 07.02.1992 - III B 24 25/91 - BStBl II 1992, 408, unter 3.d).
Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn besondere Gründe materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art substanziiert geltend gemacht werden, die es rechtfertigen, trotz Anhängigkeit des Musterverfahrens Rechtsschutz gegen den im Streitpunkt für vorläufig erklärten Bescheid zu gewähren. Ein Rechtsschutzbedürfnis kann bei vorläufiger Steuerfestsetzung unter anderem dann bestehen, wenn der Steuerpflichtige aus berechtigtem Interesse ein weiteres Verfahren einleiten will, weil er zum Beispiel bisher in dem Musterverfahren nicht geltend gemachte Gründe substanziiert vorträgt und diese an das BVerfG oder an den Gerichtshof der Europäischen Union herantragen möchte.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Besprechungsentscheidung stellt mehrere praxisrelevante Detailfragen klar.
Anknüpfend an die Rechtsprechung des VI. Senats grenzt die Besprechungsentscheidung die Zuwendung eines weiteren (eigenständigen) geldwerten Vorteils zur Nutzungsüberlassung des Fahrzeugs ab, der nicht von der Abgeltungswirkung der 1%-Regelung erfasst wird, da die vom Arbeitgeber getragenen Kosten nicht unter die Aufwendungen i.S.v. § 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 EStG fallen. Erfasst werden von § 8 Abs. 2 Sätze 2 ff. EStG neben den von der Fahrleistung abhängigen Aufwendungen für Treib- und Schmierstoffe auch die regelmäßig wiederkehrenden festen Kosten, denen gemein ist, dass sie sich entweder – wie die festen Kosten – den einzelnen Fahrten nicht unmittelbar zuordnen lassen oder dass sie – soweit sie von der Fahrleistung abhängig sind – bei unterstelltem gleichmäßigem Kraftstoffverbrauch unabhängig davon in gleicher Höhe anfallen, ob eine bestimmte Fahrtstrecke aus privatem oder aus beruflichem Anlass zurückgelegt worden ist. Soweit es sich bei Kosten, wenn der Arbeitgeber sie getragen hätte, um eigenständige geldwerte Vorteile handelt, die zu dem Vorteil der Fahrzeugüberlassung hinzuträten, weil sie ausschließlich von der Entscheidung des Arbeitnehmers abhängen, das Fahrzeug für einen bestimmten Zweck zu verwenden oder ein bestimmtes Ziel aufzusuchen, können diese Aufwendungen, wenn sie vom Arbeitnehmer getragen werden, den geldwerten Vorteil nicht mindern.
Bestätigt hat der Senat schließlich das fehlende Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Steuerbescheid in dem verfassungsrechtlichen Streitpunkt gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig ergangen ist, diese Streitfrage sich in einer Vielzahl im Wesentlichen gleich gelagerter Verfahren (Massenverfahren) stellt und bereits ein nicht von vornherein aussichtsloses Musterverfahren beim BVerfG anhängig ist.
Hervorzuheben ist schließlich die Einordnung von Prozesszinsen als steuerpflichtige Kapitalerträge gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG im Gleichklang mit Erstattungszinsen, wonach sich im Einzelfall eine Abgrenzung beider im Rahmen eines einheitlichen Zinsbetrags erübrigt.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
I. Ob und ggf. in welcher Höhe es sich bei den vom Kläger im Streitjahr vereinnahmten Zinsen nicht nur um Erstattungszinsen gemäß § 233a AO, sondern auch um Prozesszinsen gemäß § 236 AO handelt, kann offenbleiben. Hierüber wäre zwar im angefochtenen Einkommensteuerbescheid abschließend zu entscheiden (BFH, Urt. v. 12.03.2024 - VIII R 10/20 Rn. 18 - BFH/NV 2024, 911 = DStR 2024, 1300). Erstattungszinsen gemäß § 233a AO sind aber gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG steuerbare und steuerpflichtige Kapitalerträge. Auch Prozesszinsen (§ 236 AO) sind nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG steuerbare und steuerpflichtige Einnahmen aus Kapitalvermögen (vgl. BFH, Beschl. v. 17.05.2021 - VIII B 88/20 Rn. 11 - BFH/NV 2021, 1353; BFH, Beschl. v. 17.05.2021 - VIII B 85/20 Rn. 11 - BFH/NV 2021, 1352). Unabhängig davon, wie sich der dem Kläger gewährte Zinsbetrag zusammensetzt, handelt es sich demnach um steuerbare und steuerpflichtige Einkünfte gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Soweit der Kläger hiergegen vorbringt, dem stehe das Urteil des BFH (Urt. v. 15.06.2010 - VIII R 33/07 - BStBl II 2011, 503) entgegen, ist dies unzutreffend. Dem Urteil, mit dem der Senat die Steuerbarkeit von Erstattungszinsen gemäß § 233a AO verneint hat, liegt erkennbar der Gedanke zugrunde, Nachzahlungs- und Erstattungszinsen dürften steuerlich nicht asymmetrisch behandelt werden. Wenn Nachzahlungszinsen gemäß § 12 Nr. 3 EStG als nicht steuerbare Nebenleistungen zur Einkommensteuer nicht abgezogen werden könnten, seien auch Erstattungszinsen nicht steuerbar (BFH, Urt. v. 15.06.2010 - VIII R 33/07 Rn. 20 f. - BStBl II 2011, 503). Diese Erwägung lässt sich auf Prozesszinsen nicht übertragen, da Prozesszinsen ausschließlich zugunsten des Steuerpflichtigen festgesetzt werden können. Einen vom Steuerpflichtigen an die Finanzbehörde zu zahlenden und unter das Abzugsverbot nach § 12 Nr. 3 EStG fallenden Zins gibt es dagegen nicht. Mangels eines asymmetrischen Normgefüges wie bei den Erstattungszinsen scheidet die Zuweisung bezogener Prozesszinsen in den nicht steuerbaren Bereich auf der Grundlage des Urteils des BFH vom 15.06.2010 (VIII R 33/07 - BStBl II 2011, 503) daher aus.
II. Die Einkünfteerzielungsabsicht für die bezogenen Zinsen ist wegen der Nichtabziehbarkeit der tatsächlichen Werbungskosten (§ 20 Abs. 9 EStG) und der beschränkten Verrechenbarkeit der unter § 32d Abs. 1 EStG fallenden Kapitalerträge (§ 20 Abs. 6 EStG) tatsächlich (widerlegbar) zu vermuten. Für eine Widerlegung der Absicht muss feststehen, dass der Steuerpflichtige von vornherein keine positiven Kapitalerträge aus der Kapitalanlage erzielen kann. Für die vereinnahmten Zinsen scheidet dies aus. Denn durch die Zahlung der Zinsen tritt eine objektive Steigerung der Leistungsfähigkeit ein, ohne dass Abzüge des Steuerpflichtigen in Form von Werbungskosten in Betracht kommen (§ 20 Abs. 9 EStG).



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