juris PraxisReporte

Anmerkung zu:OLG Nürnberg 1. Zivilsenat, Urteil vom 27.06.2025 - 1 U 1335/24 Erb
Autor:Giuseppe Pranzo, LL.M., RA, FA für Erbrecht und Fachberater für Unternehmensnachfolge (DStV e.V.)
Erscheinungsdatum:25.11.2025
Quelle:juris Logo
Norm:§ 2325 BGB
Fundstelle:jurisPR-FamR 24/2025 Anm. 1
Herausgeber:Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht
Zitiervorschlag:Pranzo, jurisPR-FamR 24/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Wirkung der Schenkung einer Immobilie gegen Leibrente im Streit um den Pflichtteilsergänzungsanspruch



Leitsätze

1. Vereinbaren die Vertragsparteien bei Schenkung eines vermieteten Grundstücks eine durch eine Reallast gesicherte lebenslange Leibrente zugunsten des Erblassers in Höhe der erzielten Netto-Mieteinnahmen des Objekts, gibt der Erblasser den „Genuss“ des verschenkten Grundstücks nicht auf (im Anschluss an BGH, Urt. v. 27.04.1994 - IV ZR 132/93 - BGHZ 125, 395-399 und BGH, Urt. v. 29.06.2016 - IV ZR 474/15 - BGHZ 211, 38-45).
2. In einem solchen Fall macht es weder wirtschaftlich noch mit Blick auf den Schutz des Pflichtteilsberechtigten vor „böslichen“ Schenkungen einen Unterschied, ob der Erblasser die Immobilie unter Vorbehalt eines Nutzungsrechts oder gegen Vereinbarung einer Leibrente oder dauernden Last in Höhe der Erträge des Mietobjekts überträgt.
3. Ein „Genussverzicht“ findet erst im Zeitpunkt des Verzichts auf die Leibrentenzahlung durch den Erblasser und die Löschung des Sicherungsmittels im Grundbuch statt.



A.
Problemstellung
Das OLG Nürnberg hat sich mit der in der Literatur bislang umstrittenen Frage beschäftigt, ob und wann bei Grundstücksüberlassungen mit einer durch Reallast dinglich gesicherten Leibrentenregelung von einem Fristanlauf i.S.d. § 2325 Abs. 3 BGB ausgegangen werden kann.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien des Rechtsstreits sind Geschwister, die im Wege der Stufenklage um Pflichtteilsergänzungsansprüche im Zusammenhang mit der Überlassung von insgesamt vier Grundstücken durch die im April 2021 verstorbene, gemeinsame Mutter an den Beklagten streiten.
Die zugrunde liegende Überlassung erfolgte im Jahr 1995 unter Vorbehalt einer mit einer Indexklausel versehenen monatlichen Leibrente i.H.v. 1.500 DM, die mittels Reallast an einem Teil des überlassenen Grundbesitzes abgesichert wurde. Die Mieteinnahmen aus dem Wohnhaus i.H.v. ca. 1.900 DM monatlich wurden ausdrücklich als Grundlage für die Bemessung des monatlichen Zahlbetrages vereinbart.
Der Beklagte wurde im März 1996 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Im Oktober 2013 bewilligte die Erblasserin die Löschung der im Grundbuch eingetragenen Reallast vor dem Hintergrund eines vorangegangenen Verzichts auf Zahlung der monatlichen Leibrente.
Das LG Weiden verurteilte den Beklagten der Rechtsauffassung der Klägerin entsprechend erstinstanzlich zur Wertermittlung. Dies unter Zugrundelegung der Auffassung, dass die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB noch nicht verstrichen sei, weil die Erblasserin erst mit Verzicht auf die Leibrente im Herbst 2013 eine wirtschaftliche Ausgliederung der überlassenen Grundstücke vorgenommen habe. Der Beklagte ist hingegen der Auffassung, die Erblasserin habe mit Abschluss des Überlassungsvertrages im Jahr 1995 trotz Vorbehalts einer Leibrente ihre Rechtsstellung als Eigentümerin vollständig aufgegeben und auf den Genuss hieran verzichtet, so dass die (gemischte) Schenkung im Zeitpunkt des Erbfalls infolge Fristablaufs nicht mehr zu berücksichtigen sei.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Höhe der vereinbarten Leibrente unter dem Wert des überlassenen Grundbesitzes liegt. Zu entscheiden war damit hauptsächlich die Frage, ob von einem Fristablauf gemäß § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB auszugehen ist.
Zur Beantwortung dieser Frage stellt das OLG Nürnberg auf die Rechtsprechung des BGH ab, wonach eine maßgebliche Leistung i.S.d. § 2325 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 BGB erst dann vorliegt, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand im Wesentlichen weiter zu nutzen (BGH, Urt. v. 27.04.1994 - IV ZR 132/93; BGH, Urt. v. 29.06.2016 - IV ZR 474/15).
Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung gelangt das OLG Nürnberg zum Ergebnis, eine fehlende Vermögensminderung aufseiten der Erblasserin sei auch dann anzunehmen, wenn die Erträge des Objekts in Form von Rentenzahlungen an den Schenker zurückfließen. Zur Begründung führt das OLG Nürnberg weiter aus, der Nutzungswert der Immobilie verbleibe aufgrund der durch Reallast gesicherten Leibrente im Wesentlichen bei der Erblasserin, da diese nach Überlassung weiterhin die Nutzungen des vermieteten Objekts in gleicher Höhe ziehen konnte, wie sie es zuvor als Eigentümerin getan hatte, so dass sich durch die Eigentumsübertragung wirtschaftlich nichts geändert habe. Daher sei es gleichgültig, ob ein Nießbrauch vorbehalten werde oder die Nutzung in Form von wiederkehrenden Leistungen wie in kapitalisierter Form als Leibrente oder dauernde Last dem Schenker verbleibt. Entscheidend sei dabei insbesondere, dass die Parteien die Mieteinnahmen des Objektes ausdrücklich zur Grundlage der Leibrentenzahlungen machten und diese durch eine Reallast dinglich am verschenkten Objekt absicherten.
Das OLG Nürnberg nahm letztlich erst mit Verzicht auf die Leibrentenzahlung und Löschung der Reallast im Grundbuch im Oktober 2013 eine Beendigung der Hemmung des Fristanlaufs des § 2325 Abs. 3 BGB an.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Anwendung der BGH-Rechtsprechung zum Genussverzicht auf Schenkungen gegen Versorgungsleistungen und Renten ist umstritten. In der Literatur wird in diesen Fällen mehrheitlich von einem Genussverzicht ausgegangen, da derartige Gegenleistungen dem Schenker keine Nutzungsbefugnisse am übertragenen Gegenstand gewähren und sie unabhängig von den Erträgen des überlassenen Objekts erfüllt werden können (von Proff, ZEV 2016, 681, 685; Bühler, DNotZ 2022, 10, 24; Lange in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2022, § 2325 BGB Rn. 76 und 83 m.w.N.; Müller-Engels in: BeckOK BGB, § 2325 BGB Rn. 61 m.w.N.; Herrler in: BeckNotar-HdB, § 5 Rn. 411; Herrler in: Handkommentar Pflichtteilsrecht, 3. Aufl. 2022, Strategien zur Minimierung des Pflichtteils durch lebzeitige Rechtsgeschäfte, Rn. 149 m.w.N.). Auch ist der Schenker in derartigen Fällen – anders als bei einem Nießbrauchvorbehalt – nicht mehr „Herr im Haus“, da er nicht mehr entscheiden kann, wie die Sache genutzt werden kann.
Die Begründung des OLG Nürnberg, der Nutzungswert der Immobilie verbleibe aufgrund der durch Reallast gesicherten Leibrentenzahlung, die sich an den Mieteinnahmen orientiere, im Wesentlichen beim Schenker, überzeugt nicht. Das Oberlandesgericht verkennt, dass die Vereinbarung einer Leibrente dem Schenker anders als der Nießbrauch überhaupt keine Nutzungsmöglichkeit, sondern einen reinen Zahlungsanspruch verschafft, wie dies auch bei einem Kaufvertrag der Fall wäre. Insbesondere muss berücksichtigt werden, dass der Beschenkte das Risiko eines Zahlungsausfalls auf Mieterseite vollumfänglich trägt, während der Schenker auf seinen grundbuchrechtlich gesicherten Zahlungsanspruch zugreifen kann. Zudem hat es der Erwerber in der Hand, ob er seiner Zahlungsverpflichtung aus den Erträgen des überlassenen Objekts oder aus seinem sonstigen Vermögen erfüllt.
Die Orientierung der Parteien an der Höhe der Mieterträgnisse spiegelt allein die subjektiven Wertvorstellungen der Parteien wider und ändert nichts an der Risikoverteilung, wonach allein der Erwerber das Risiko des Zahlungsausfalls des Mieters trägt und nicht – wie dies bei einem Nießbrauchvorbehalt typisch ist – der Nießbrauchberechtigte. Der Übergeber ist in Fällen vorliegender Art lediglich Gläubiger eines Zahlungsanspruchs, der in keiner Weise über die Immobilie verfügen, sie selbst nutzen oder einem Dritten zur Nutzung überlassen kann. Daher ist nach richtiger Ansicht von einem Genussverzicht mit der Übergabe und nicht erst zum Zeitpunkt des Verzichts auf die Leibrente auszugehen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Es gibt nach wie vor keine höchstrichterliche Entscheidung zum Genussverzicht bei Schenkungen gegen Versorgungsleistungen und Renten. Die vom OLG Nürnberg zugelassene Revision wurde inzwischen eingelegt. Solange der BGH nicht über diese entschieden hat, ist mit der Annahme eines Fristanlaufs gemäß § 2325 Abs. 3 BGB im Falle einer Schenkung gegen Vorbehalt von Versorgungsleistungen und Renten äußerste Zurückhaltung geboten. Zumindest sollte bis auf Weiteres keine vertragliche Verknüpfung mit den fließenden und/oder zu erwartenden Mietzahlungen erfolgen.



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