juris PraxisReporte

Anmerkung zu:OLG München 33. Zivilsenat, Beschluss vom 03.12.2024 - 33 W 1034/24 e
Autor:Justizrat Dr. Manfred Birkenheier, RA, FA für Erbrecht und FA für Verwaltungsrecht
Erscheinungsdatum:13.05.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 36 BeurkG, § 2314 BGB, § 261 BGB
Fundstelle:jurisPR-FamR 10/2025 Anm. 1
Herausgeber:Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht
Zitiervorschlag:Birkenheier, jurisPR-FamR 10/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Zuziehungsrecht des Pflichtteilsberechtigten bei Aufnahme eines notariellen Nachlassverzeichnisses



Leitsätze

1. Das notarielle Nachlassverzeichnis ist eine Tatsachenbescheinigung des Notars über seine Ermittlungen und Wahrnehmungen. Sie wird durch Errichtung einer öffentlichen Zeugnisurkunde über die vom Notar festgestellten Tatsachen errichtet; eine Verlesung findet nicht statt. Der Pflichtteilsberechtigte hat an einer Anwesenheit bei diesem Vorgang grundsätzlich kein Interesse.
2. Das Zuziehungsrecht des Pflichtteilsberechtigten bei der Aufnahme des amtlichen Verzeichnisses durch einen Notar besteht nicht bei einzelnen notariellen Ermittlungshandlungen.
3. Der Pflichtteilsberechtigte hat grundsätzlich keinen Anspruch, die vom Notar im Rahmen der Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses auszuwertenden Unterlagen einzusehen.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung des OLG München befasst sich mit der Tragweite des Zuziehungsrechts des Pflichtteilsberechtigten bei der Aufnahme eines notariellen Nachlassverzeichnisses (§ 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB).


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die (Allein-)Erbin war durch rechtskräftiges Teil-Anerkenntnisurteil zur Auskunftserteilung über den Nachlass des Erblassers durch Vorlage eines unter Zuziehung des pflichtteilsberechtigten Antragstellers aufgenommenen notariellen Nachlassverzeichnisses verurteilt worden. Weil ein solches Verzeichnis zunächst noch nicht vorlag, verhängte das Landgericht auf Antrag des Pflichtteilsberechtigten gegen die Erbin ein Zwangsgeld von 1.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft. Auf die Beschwerde der Erbin hob das Landgericht seinen Beschluss wieder auf mit der Begründung, der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten sei jedenfalls durch das zwischenzeitlich vorgelegte notarielle Nachlassverzeichnis und die Nachträge hierzu erfüllt worden. Mit sofortiger Beschwerde gegen diese Entscheidung verfolgte der Antragsteller seinen Zwangsgeldantrag weiter. Er machte geltend, sein tituliertes Recht auf Zuziehung bei der Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses sei verletzt worden, so dass dem vorgelegten Verzeichnis keine Erfüllungswirkung zukomme. Bei dem Termin im Notariat am 10.05.2023, bei dem er vertreten war, habe es sich lediglich um ein informatorisches Gespräch gehandelt, das außerdem bereits vor der Titulierung seines Anspruchs stattgefunden habe. Im Übrigen liege durch die einzelnen Nachträge kein übersichtliches Verzeichnis vor; auch habe die Notarin versäumt, den Zeitpunkt des Vollzuges von Schenkungen zu ermitteln.
Das OLG München hat die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
Das titulierte Anwesenheitsrecht des Antragstellers bei der Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses sei nicht verletzt, auch wenn die Besprechung am 10.05.2023 mit der Notarin bzw. deren amtlich bestelltem Vertreter, bei der der Antragsteller vertreten war, noch vor der Titulierung des Anspruchs des Antragstellers stattgefunden habe. Denn bereits vor der Titulierung erbrachte Teilleistungen zur Herbeiführung des geschuldeten Leistungserfolgs (notarielles Nachlassverzeichnis) verlieren ihre Wirksamkeit nicht mit einer nachfolgenden Titulierung und müssen daher nicht wiederholt werden.
Auch habe der Antragsteller nicht über den Termin vom 10.05.2023 hinaus erneut von der Notarin zugezogen werden müssen. Wie das Zuziehungsrecht des Pflichtteilsberechtigten bei der Errichtung des notariellen Nachlassverzeichnisses ausgestaltet sei, sei in Rechtsprechung und Schrifttum bislang nicht abschließend geklärt. Soweit davon ausgegangen werde, dass es sich insoweit um ein physisches Anwesenheitsrecht des Pflichtteilsberechtigten bei der notariellen Tätigkeit handle, könne der Senat weder in den Gesetzesmaterialien noch in dem Wortlaut, dem Telos oder der Systematik der Norm einen Anhaltspunkt hierfür erkennen. Diese Frage bedürfe aber keiner abschließenden Entscheidung, weil der Antragsteller durch seinen Vertreter bei einem notariellen Termin zugegen gewesen sei und ein darüber hinausgehendes Anwesenheitsrecht jedenfalls im vorliegenden Fall nicht bestanden habe.
Der Erfüllungswirkung des vorliegenden Nachlassverzeichnisses stehe auch nicht entgegen, dass der Antragsteller in dem Termin, in dem das notarielle Nachlassverzeichnis förmlich errichtet wurde, nicht zugegen gewesen sei. Denn das notarielle Nachlassverzeichnis sei eine Tatsachenbescheinigung über die Ermittlungen und Wahrnehmungen des Notars gemäß § 36 BeurkG, die durch Errichtung einer öffentlichen Zeugnisurkunde errichtet werde; das Nachlassverzeichnis werde nicht verlesen und es gebe keinen Beurkundungstermin. Es bestehe daher kein schutzwürdiges Interesse, bei dieser Tatsachenbescheinigung, die über das Ausdrucken eines Dokuments samt Unterschriftsleistung nicht hinausgehe, anwesend zu sein. Da alle Beteiligten auf eine Besichtigung der Erblasserwohnung verzichtet hätten, könne ein insoweit etwa bestehendes Anwesenheitsrecht nicht verletzt sein. Schließlich habe der Auskunftsgläubiger kein Anwesenheitsrecht bei den einzelnen Ermittlungshandlungen des Notars, da ihm weder ein Mitwirkungsrecht noch ein Recht auf Einsicht in Unterlagen zustehe; er dürfe dem Notar bei der Durchsicht der Unterlagen auch nicht „über die Schulter schauen“. Ohnehin bestehe im Rahmen des Auskunftsanspruchs gemäß § 2314 Abs. 1 BGB kein Anspruch auf Vorlage von Belegen. Zur Vorlage von Belegen sei die Erbin auch nicht verurteilt.
Auch die Rüge, es liege wegen der drei Nachträge kein einheitliches Nachlassverzeichnis vor, verhelfe der Beschwerde nicht zum Erfolg. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Notarin Nachträge erstellt habe, nachdem sich weitere Erkenntnisse ergeben haben. Ohnehin enthielten die Nachträge keine für die Pflichtteilsberechnung relevanten Informationen. Auch sei eine Gefahr der Unübersichtlichkeit nicht zu erkennen. Letztlich führe auch der (zutreffende) Hinweis des Antragstellers, dass für die Berechnung der Pflichtteilsergänzungsansprüche der Zeitpunkt des Schenkungsvollzuges maßgeblich sei, nicht zum Erfolg der Beschwerde. Denn der Antragsteller knüpfe insoweit nicht an die Übertragung von Grundstücken, sondern an einzelne Banküberweisungen an. Dass Forderungen zum Nennwert am nächsten oder übernächsten Bankarbeitstag beim Empfänger gutgeschrieben werden, lege der Senat als gerichtsbekannt zugrunde.


C.
Kontext der Entscheidung
Der Besprechungsbeschluss des OLG München überrascht. Denn wesentliche Teile seiner Begründung stehen in Widerspruch zur ganz überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur zum Zuziehungsrecht des Pflichtteilsberechtigten bei der Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses. Zwar kann einem Teil der Entscheidungsgründe, die der überwiegenden Meinung entsprechen, gefolgt werden. Dies gilt z.B. dafür,
- dass nicht zwingend ein einheitliches Nachlassverzeichnis vorgelegt werden muss, sondern der Notar bei weiteren Erkenntnissen Nachträge erstellen kann, sofern dadurch die Übersichtlichkeit der Auskunft insgesamt nicht beeinträchtigt wird,
- dass der Pflichtteilsberechtigte kein Anwesenheitsrecht bei den einzelnen Ermittlungshandlungen des Notars hat,
- dass ihm grundsätzlich nach überwiegender Ansicht kein Anspruch auf Vorlage von Belegen zusteht, es sei denn, Ansprüche auf Vorlage bestimmter Belege wären tituliert,
- dass er kein Recht darauf hat, dem Notar bei der Aufnahme des Verzeichnisses „über die Schulter zu schauen“ und auf diese Weise Einblick in Unterlagen zu nehmen, auf deren Grundlage das Verzeichnis erstellt wird.
Nicht auseinandergesetzt hat sich der Senat allerdings mit der Ansicht, dass das Fehlen eines Anspruchs auf Belegvorlage nicht dem Anspruch des Pflichtteilsberechtigten entgegengehalten werden kann, die Belege und Unterlagen, die dem Verzeichnis zugrunde liegen, bei dessen Aufnahme einzusehen, weil sich das Einsichtsrecht in die Belege unmittelbar aus dem Recht auf Zuziehung ergibt (Herzog in: Staudinger, BGB, 2021, § 2314 Rn. 189 m.w.N.).
Nicht gefolgt werden kann dem OLG München jedoch mit seiner Argumentation, der Erfüllung des zugunsten des Antragstellers titulierten Anspruchs auf Zuziehung stehe nicht entgegen, dass eine Besprechung mit der Notarin noch vor Titulierung des Anspruchs auf das notarielle Nachlassverzeichnis unter Zuziehung des Antragstellers stattgefunden hat und bereits erbrachte Teilleistungen nicht mit einer nachfolgenden Titulierung ihre Wirksamkeit verlieren. Dabei wird übersehen, dass das Zuziehungsrecht sich nicht nur auf Teilleistungen des Notars erstreckt, sondern auf die geschuldete Gesamtleistung „Notarielles Nachlassverzeichnis“. Von dieser Gesamtleistung hat der Antragsteller, wie aus den Urteilsgründen ersichtlich ist, mangels Zuziehung nach der Titulierung seines Anspruchs keine Kenntnis erlangen können, so dass sein Zuziehungsrecht eindeutig verletzt worden ist. Es kommt hinzu, dass ein vor Titulierung des Anspruchs geführtes „informatorisches Gespräch“ – mit dessen Inhalt sich das OLG München nicht näher befasst hat, denn aus dem Urteil geht darüber nichts hervor – nicht geeignet ist, den erst später titulierten Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Zuziehung zu erfüllen, weil zum Zeitpunkt dieses Gesprächs die geschuldeten notariellen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen gewesen sein können, der zugezogene Pflichtteilsberechtigte jedoch Anspruch darauf hat, im Rahmen der Zuziehung das Gesamtergebnis der notariellen Ermittlungen zu erfahren.
Überraschend ist auch, dass das OLG München dem Pflichtteilsberechtigten ein schutzwürdiges Interesse an der Anwesenheit bei der Erstellung („Aufnahme“) des notariellen Nachlassverzeichnisses abspricht mit der Begründung, es handle sich dabei nur um eine Tatsachenbescheinigung über die Ermittlungen und Wahrnehmungen des Notars gemäß § 36 BeurkG, die durch Errichtung einer öffentlichen Zeugnisurkunde über die von dem Notar festgestellten Tatsachen errichtet und nicht verlesen werde, so dass es auch keinen Beurkundungstermin gebe (Rn. 14/15). Zwar wird aus dem Gesetzeswortlaut nicht deutlich, was mit dem Recht des Pflichtteilsberechtigten auf „Zuziehung bei der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses“ konkret gemeint ist und wie dieses Recht konkret ausgestaltet sein soll (Blum in: Schlitt/Müller-Engels, Handbuch Pflichtteilsrecht, 3. Aufl. 2024, § 2 Rn. 61, S. 64). Nach verbreiteter Ansicht ist es jedoch die ratio des § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB, dem Auskunftsgläubiger zu ermöglichen, die Qualität der ihm zu erteilenden Auskunft besser beurteilen und besser einschätzen zu können, ob er eine eidesstattliche Versicherung verlangen sollte, deren Kosten gemäß § 261 Abs. 3 BGB zu seinen Lasten gehen (Herzog in: Staudinger, BGB, 2021, § 2314 Rn. 189; Riedel in: Damrau/Tanck, Praxiskommentar Erbrecht, 4. Aufl. 2020, § 2314 BGB Rn. 43; Blum in: Schlitt/Müller-Engels, Handbuch Pflichtteilsrecht, 3. Aufl. 2024, § 2 Rn. 61, S. 64; Schönenberg-Wessel, Das notarielle Nachlassverzeichnis, 2020, § 24 Rn. 2, S. 188; Joachim/Lange, Pflichtteilsrecht, 4. Aufl. 2022, Rn. 444, S. 318 f.). Deshalb begründet das Zuziehungsrecht nach überwiegender Ansicht ein Recht auf physische Anwesenheit des Pflichtteilsberechtigten bei der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses (vgl. BGH, Beschl. v. 13.09.2018 - I ZB 109/17 Rn. 33 - NJW 2019, 231 „in einem für die förmliche Aufnahme des Nachlassverzeichnisses bestimmten Termin“).
Nun kann man darüber streiten, ob unter „Zuziehung bei der Aufnahme“ auch eine Beteiligung des Pflichtteilsberechtigten verstanden werden könnte, die nicht in einem bestimmten Termin mit förmlicher Aufnahme des Nachlassverzeichnisses und persönlicher Anwesenheit des Pflichtteilsberechtigten erfolgt, sondern in der Form, dass der Notar dem Pflichtteilsberechtigten einen Entwurf seines Nachlassverzeichnisses zusendet und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme und Mitteilung etwaiger Einwände gibt, die ggf. zu weiteren Ermittlungen des Notars führen. Auch dies wäre im weitesten Sinne eine „Zuziehung bei der Aufnahme“, also eine Beteiligung des Pflichtteilsberechtigten an der „öffentlichen Zeugnisurkunde über die vom Notar festgestellten Tatsachen“. Dies kann aber hier offenbleiben, da auch eine Beteiligung des Pflichtteilsberechtigten in dieser Form im konkreten Fall nicht stattgefunden hat.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Aus den im vorstehenden Abschnitt genannten Gründen kann die Entscheidung des OLG München nicht überzeugen. Bereits der Sachverhalt, welcher der Entscheidung zugrunde liegt, wird unrichtig gewürdigt, indem ein Gespräch des Pflichtteilsberechtigten mit der von der Erbin beauftragten Notarin als für den Zuziehungsanspruch ausreichend angesehen wird, obwohl dieses Gespräch mit ungeklärtem Inhalt unstreitig vor der gerichtlichen Titulierung des Anspruchs auf Vorlage eines unter Zuziehung des Pflichtteilsberechtigten bei der Aufnahme erstellten Verzeichnisses stattgefunden hat. Das Ergebnis der Entscheidung läuft de facto auf die Entwertung des Zuziehungsrechts bei der Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses hinaus. Es kann jedoch nicht, wie Herzog zutreffend formuliert hat (in: Staudinger, BGB, 2021, § 2314 Rn. 189), davon ausgegangen werden, dass das Gesetz dem Pflichtteilsberechtigten einen offenkundig sinnlosen Anspruch gegeben habe.
Das Besprechungsurteil gibt daher für Pflichtteilsgläubiger und ihre Rechtsanwälte keinen Anlass, von der bisherigen Praxis abzuweichen, die die Zustimmung der überwiegenden Rechtsprechung und Literatur gefunden hat, nämlich in geeigneten Fällen die Zuziehung des Pflichtteilsberechtigten zur förmlichen Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses in dem dafür bestimmten Termin i.S.d. persönlichen Anwesenheit des Pflichtteilsberechtigten und/oder seines anwaltlichen Vertreters zu verlangen.
Das OLG München hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Auch dies erscheint aus den vorstehend angesprochenen Gründen problematisch. Sollten bei vergleichbar gelagerten Sachverhalten Entscheidungen wie diejenige des Besprechungsbeschlusses des OLG München ergehen, wäre es sinnvoll, eine Klärung der in Rede stehenden Rechtsfragen durch den BGH anzustreben.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!