juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BVerwG 5. Senat, Urteil vom 12.12.2024 - 5 C 1/23
Autor:Dr. Rainer Störmer, Vors. RiBVerwG
Erscheinungsdatum:19.05.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 161 SGB 6, § 162 SGB 6, § 168 SGB 6, § 22 SGB 4, § 24 SGB 8, § 85 SGB 8, § 39 SGB 8, § 23 SGB 8
Fundstelle:jurisPR-BVerwG 10/2025 Anm. 1
Herausgeber:Verein der Bundesrichter bei dem Bundesverwaltungsgericht e.V.
Zitiervorschlag:Störmer, jurisPR-BVerwG 10/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Keine Erstattung von Aufwendungen für Beitragsanteile zu einer gesetzlichen Rentenversicherung, die wegen zusätzlicher freiwilliger Zahlungen der Wohnsitzgemeinden der von einer Tagespflegeperson betreuten Kinder anfallen



Leitsätze

1. Die Versicherung in einer gesetzlichen Rentenversicherung ist stets eine der Art und dem Versicherungsschutz nach angemessene Alterssicherung i.S.d. § 23 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 SGB VIII.
2. Aufwendungen für Beitragsanteile zu einer gesetzlichen Rentenversicherung, die wegen zusätzlicher freiwilliger Zahlungen der Wohnsitzgemeinden der von einer Tagespflegeperson betreuten Kinder anfallen, unterliegen nicht der Pflicht des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zur hälftigen Erstattung nach § 23 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 SGB VIII.



A.
Problemstellung
Tagespflegepersonen (umgangssprachlich als Tagesmütter bzw. Tagesväter bezeichnet) steht unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen ein Anspruch auf Gewährung einer laufenden Geldleistung gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu (§ 23 Abs. 1 SGB VIII). Diese laufende Geldleistung hat neben der Erstattung angemessener Kosten für den Sachaufwand (§ 23 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII) und eines „Betrages zur Anerkennung der Förderungsleistung“ (§ 23 Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII) auch die hälftige Erstattung nachgewiesener Aufwendungen zu einer angemessenen Alterssicherung der Tagespflegeperson (§ 23 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 SGB VIII) zu umfassen. Im Besprechungsfall stellte sich u.a. die Frage, was unter einer angemessenen Alterssicherung im Sinne dieser Vorschrift zu verstehen ist und welche Aufwendungen dafür erstattungsfähig sind.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die als Tagesmutter tätige Klägerin ist in der Deutschen Rentenversicherung pflichtversichert. Sie betreute im streitgegenständlichen Jahr 2018 fünf Kinder aus zwei im beklagten Landkreis gelegenen Gemeinden. Hierfür erhielt sie neben der laufenden Geldleistung, die ihr vom Beklagten als Träger der öffentlichen Jugendhilfe gewährt wurde, auch finanzielle Leistungen von den Wohnsitzgemeinden. Der von der Deutschen Rentenversicherung auf der Grundlage beider Zahlungen ermittelte monatliche Rentenversicherungsbeitrag betrug 230,05 Euro. Der Beklagte ist der Auffassung, er sei lediglich zur Erstattung der Beitragsanteile verpflichtet, die auf seine Zahlungen zurückgingen. Dementsprechend erstattete er der Klägerin einen Betrag von rund 1.000 Euro. Diese vertritt die Ansicht, ihr seien auch die Beitragsanteile hälftig zu erstatten, die auf den gemeindlichen Zahlungen beruhten. Ihre nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage, mit der sie die Verpflichtung des Beklagten auf Erstattung weiterer 330,12 Euro für das streitige Jahr begehrt, ist sowohl vor dem VG als auch vor dem VGH erfolglos geblieben. Auch die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Das BVerwG hat das Urteil des VGH im Ergebnis bestätigt. Es begründet seine Entscheidung in den Grundzügen wie folgt:
Die Voraussetzungen der für das Verpflichtungsbegehren der Klägerin allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 23 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 SGB VIII sind nicht erfüllt. Danach umfasst die Förderung in Kindertagespflege nach Maßgabe von § 24 SGB VIII die Gewährung einer laufenden Geldleistung an die Tagespflegeperson (§ 23 Abs. 1 SGB VIII), welche die hälftige Erstattung nachgewiesener Aufwendungen zu einer angemessenen Alterssicherung der Tagespflegeperson einschließt.
Zwar sind – wovon auch die Beteiligten mit den Vorinstanzen übereinstimmend ausgegangen sind – die tatbestandlichen Voraussetzungen der Anspruchsnorm (§ 23 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 SGB VIII) ihrem Wortlaut nach erfasst. Die Klägerin hatte die geltend gemachten Aufwendungen i.S.d. vorgenannten Vorschrift für den Anteil am monatlichen Rentenversicherungsbeitrag, der von ihr im streitigen Jahr 2018 wegen der freiwilligen Zuzahlungen der Wohnsitzgemeinden erhoben wurde, nachgewiesen, d.h. mittels überprüfbarer Angaben und Belege bestätigt. Zudem hatte sie die Aufwendungen auch entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift zu einer angemessenen Alterssicherung erbracht. Der Begriff der Alterssicherung umfasst in erster Linie die Altersvorsorge in Form der gesetzlichen Rentenversicherung. Darüber hinaus sind auch private vermögensbildende Maßnahmen und Anlageformen als Alterssicherung anerkennungs- und förderungsfähig, wenn ihnen eine der gesetzlichen Rente vergleichbare Altersvorsorgefunktion zukommt. Die Versicherung in einer gesetzlichen Rentenversicherung ist jedenfalls – wie das BVerwG nunmehr mit ausführlicher Begründung klarstellt – stets eine der Art und dem Versicherungsschutz nach angemessene Alterssicherung i.S.d. § 23 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 SGB VIII.
Der Anwendung dieser Erstattungsregelung auf Aufwendungen für die im Streit stehenden Beitragsanteile steht jedoch der ihr vom Gesetzgeber beigemessene Sinn und Zweck, wie er aus der Gesetzgebungsgeschichte und den Gesetzesmaterialien zu entnehmen ist, entgegen. Der Erstattungsanspruch des § 23 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 SGB VIII ist darauf gerichtet, selbstständig tätige Tagespflegepersonen in ihrer Alterssicherung abhängig Beschäftigten anzunähern und ihnen einen dem Leitbild der gesetzlichen Rente entsprechenden versorgungsrechtlichen Nachteilsausgleich zu gewähren. Tagespflegepersonen sollen durch die Erstattungsregelung in Bezug auf ihre Alterssicherung im Ansatz genauso behandelt und gestellt werden wie abhängig Beschäftigte (vgl. BT-Drs. 15/1514, S. 63, vgl.a. BT-Drs. 7/1511, S. 2 und 3). Bei Letzteren ist jedoch, wie sich aus einer Gesamtschau von Regelungen (§§ 161 Abs. 1, 162 Nr. 1 Alt. 1, 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI und § 22 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB IV) ergibt, die hälftige Beteiligung des Arbeitgebers an der Aufbringung des monatlichen Rentenversicherungsbeitrages auf Beitragsansprüche beschränkt, die auf das mit ihm bestehende Beschäftigungsverhältnis entfallen. Übertragen auf Tagespflegepersonen ist danach ihr Verhältnis zum Träger der öffentlichen Jugendhilfe maßgeblich. Dies schließt eine Erstattung von Altersvorsorgeaufwendungen aus, die auf andere als die der Tagespflegeperson vom jeweils örtlich zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die Tätigkeit in der Kindertagespflege gewährten laufenden Geldleistungen zurückzuführen sind.
Dem vorgenannten Zweck konnte allerdings in methodischer Hinsicht nicht mehr – wie das BVerwG weiter im Einzelnen darlegt – durch eine Auslegung des § 23 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 SGB VIII zur Geltung verholfen werden. Denn er hat im Text dieser Vorschrift keinen Niederschlag gefunden. Weder seinem Wortlaut noch seiner Systematik nach verlangt § 23 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 SGB VIII, dass die nachgewiesenen Aufwendungen angemessen sein müssen. Das Kriterium der Angemessenheit bezieht sich nach der Wortstellung ausschließlich auf das Wort „Alterssicherung“. Der Zweck der Vorschrift gebietet es aber, die planwidrige Regelungslücke zu schließen und ihren dem Wortlaut nach zu weiten Anwendungsbereich im Wege der teleologischen Reduktion zu begrenzen. Nach dem Plan des Gesetzgebers sind die in der Vorschrift normierten Anspruchsvoraussetzungen um das Erfordernis zu ergänzen, dass die nachgewiesenen Aufwendungen zu einer angemessenen Alterssicherung auf die laufende Geldleistung zurückzuführen sein müssen, die vom jeweils örtlich zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe an die Tagespflegeperson für die Tätigkeit in der Kindertagespflege gewährt wird. Das schloss die Berücksichtigung der Zuzahlungen der Wohnsitzgemeinden im Rahmen des § 23 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 SGB VIII aus.
Dagegen vermochte die Klägerin nicht mit Erfolg einzuwenden, dass die Zuzahlungen der Wohnsitzgemeinden, obgleich diese nicht Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind, als Einkünfte aus öffentlich finanzierter Kindertagespflege anzusehen seien. Zwar trifft Gemeinden in Baden-Württemberg nach § 3 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die Betreuung und Förderung von Kindern in Kindergärten, anderen Tageseinrichtungen und der Kindertagespflege (Kindertagesbetreuungsgesetz - KiTaG BW) eine Verpflichtung, an der Schaffung von Betreuungsplätzen mitzuwirken. Dies macht jedoch gemeindliche Zuzahlungen nicht zu einem Bestandteil der laufenden Geldleistung nach § 23 SGB VIII und damit nicht zu Einkünften der Tagespflegeperson aus öffentlich finanzierter Kindertagespflege, die im Rahmen der Erstattungsregelung des § 23 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 SGB VIII zu berücksichtigen sind. Die objektiv-rechtliche Verpflichtung der Gemeinden, in ihrem Zuständigkeitsbereich auf ein bedarfsgerechtes Angebot an Betreuungsplätzen hinzuwirken, tritt neben die Gewährleistungsverpflichtung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe und lässt diese unberührt. Im Außenverhältnis zum Leistungsberechtigten ist allein der Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die Erfüllung des Rechtsanspruchs des Kindes aus § 24 SGB VIII und die Gewährung der laufenden Geldleistung nach § 23 SGB VIII an die Tagespflegeperson sachlich zuständig (§ 85 Abs. 1 SGB VIII).


C.
Kontext der Entscheidung
I. Zur Auslegung des Begriffs der angemessenen Alterssicherung i.S.d. § 23 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 SGB VIII konnte das BVerwG auf seine Entscheidung aus dem Jahr 2010 zurückgreifen (BVerwG, Urt. v. 23.02.2010 - 5 C 29/08 Rn. 11 - Buchholz 436.511 § 39 KJHG/SGB VIII Nr 4 unter Bezugnahme auf BT-Drs. 15/3676, S. 36). Diese betraf § 39 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB VIII, wonach die einer Pflegeperson zu gewährenden laufenden Leistungen u.a. auch die hälftige Erstattung nachgewiesener Aufwendungen zu einer angemessenen Alterssicherung umfassen. Da diese Vorschrift die Regelung der Bemessung der Geldleistung für Tagespflegepersonen nach § 23 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 SGB VIII übernommen hat, hat der Begriff der Alterssicherung in beiden Bestimmungen einen identischen Inhalt. Bereits in der genannten Entscheidung aus dem Jahr 2010 hat das BVerwG ausgeführt, dass die gesetzliche Rente das Leitbild der ihrer Art nach mit öffentlichen Mitteln zu fördernden Vermögensbildung zum Zweck der Altersvorsorge ist. Die hälftige Erstattung der Aufwendungen zu einer angemessenen Alterssicherung durch den Träger der Jugendhilfe nach § 39 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB VIII dient dem versorgungsrechtlichen Nachteilsausgleich. Es soll dadurch insbesondere sichergestellt werden, dass eine Pflegeperson, die auf eine (vollzeitige) Erwerbstätigkeit als abhängig Beschäftigte verzichtet, um ein Pflegekind bzw. mehrere Pflegekinder zu betreuen, und infolgedessen keine oder bei einer Teilzeit-Erwerbstätigkeit als abhängig Beschäftigte nur reduzierte (gesetzliche) Rentenanwartschaften erwirbt, gleichwohl im Alter über eine gewisse finanzielle Absicherung verfügt.
II. Hinsichtlich der methodischen Maßstäbe für eine Rechtsfortbildung in Form der teleologischen Reduktion knüpft der Senat an seine ständige Rechtsprechung an. Danach ist die damit verbundene Korrektur des Wortlauts einer Vorschrift nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Die gesetzliche Regelung muss nach ihrem Wortlaut Sachverhalte erfassen, die sie nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht erfassen soll. Ob eine solche dem Gesetzeszweck zuwiderlaufende planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes vorliegt, ist nach dem Plan des Gesetzgebers zu beurteilen, der dem Gesetz zugrunde liegt (st.Rspr., vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 28.02.2019 - 5 C 1/18 Rn. 15 m.w.N. - Buchholz 436.511 § 23 SGB VIII Nr 4). In einem solchen Fall ist eine zu weit gefasste Regelung im Wege der teleologischen Reduktion auf den ihr nach Sinn und Zweck zugedachten Anwendungsbereich zurückzuführen. Dabei muss dem Plan des Gesetzgebers mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sein, in welcher Weise die gesetzliche Regelung einzuschränken ist, um den Gesetzeszweck zu erreichen (BVerwG, Urt. v. 27.02.2020 - 5 C 5/19 Rn. 15 - BVerwGE 168, 15; BVerwG, Urt. v. 11.12.2020 - 5 C 9/19 Rn. 26 - BVerwGE 171, 49).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Weil die Versicherung in einer gesetzlichen Rentenversicherung stets eine der Art und dem Versicherungsschutz nach angemessene Alterssicherung i.S.d. § 23 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 SGB VIII darstellt, steht Tagespflegepersonen grundsätzlich ein Anspruch auf die hälftige Erstattung der hierfür nachgewiesenen Aufwendungen zu. Die Vorschrift ist jedoch ihrem Zweck nach darauf zu begrenzen, dass die nachgewiesenen Aufwendungen zu einer angemessenen Alterssicherung auf die laufende Geldleistung zurückzuführen sein müssen, die der Tagespflegeperson vom jeweils örtlich zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe gewährt wird. Nicht erfasst werden daher Aufwendungen für Beitragsanteile, die in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen zusätzlicher freiwilliger Zahlungen der Wohnsitzgemeinden anfallen, die nicht zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind. Diese Aufwendungen unterliegen nicht der Pflicht des Jugendhilfeträgers zur hälftigen Erstattung.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!