Kollusion, Missbrauch der Vertretungsmacht und Wissenszurechnung bei Mietvertragsschluss durch GmbH-GeschäftsführerLeitsatz Zum kollusiven Zusammenwirken i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB zwischen dem Vertreter des Vermieters (hier: dem Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung) und dem Mieter bei Abschluss eines Wohnraummietvertrags zum Nachteil des Vermieters sowie zur unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) durch den Mieter bei von ihm erkanntem oder sich ihm aufdrängenden Missbrauch der Vertretungsmacht (im Anschluss an BGH, Urt. v. 05.11.2003 - VIII ZR 218/01 - NJW-RR 2004, 247, unter II 1; BGH, Urt. v. 09.05.2014 - V ZR 305/12 - NJW 2014, 2790 Rn. 17 f.; BGH, Urt. v. 29.10.2020 - IX ZR 212/19 - NZI 2021, 197 Rn. 9). Orientierungssatz zur Anmerkung Vom Vorliegen der Voraussetzungen der Wissenszurechnung entsprechend § 166 Abs. 1 BGB kann nicht allein wegen einer persönlichen Nähe (hier: Lebensgefährte der Partei des Wohnraummietvertrags, der mit dieser und den gemeinsamen Kindern in der betreffenden Wohnung lebt) ausgegangen werden. - A.
Problemstellung Der BGH hatte Gelegenheit, bei der Anwendung der Institute der Kollusion, des Missbrauchs der Vertretungsmacht und der Wissenszurechnung auf eine dogmatisch saubere Prüfung zu pochen.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung I. Die Beklagte zu 1) und ihr Lebensgefährte, der Beklagte zu 2), bewohnen mit ihren minderjährigen Kindern eine im Eigentum der Klägerin – einer GmbH – stehende Wohnung. Der Mietvertrag war im Jahr 2017 von der Beklagten zu 1) als alleiniger Mieterin und für die Klägerin als Vermieterin von ihrem damaligen (alleinvertretungsberechtigten) Geschäftsführer unterzeichnet worden. Im Jahr 2021 verlangte die Klägerin – unter neuer Geschäftsführung – von der Beklagten zu 1) die Räumung und Herausgabe der Wohnung mit der Begründung, der Mietvertrag sei durch kollusives Verhalten zustande gekommen und zudem wegen der niedrigen Miete sittenwidrig. Das Berufungsgericht gab der Klage statt. Der Mietvertrag sei wegen eines kollusiven Zusammenwirkens des früheren Geschäftsführers der Klägerin mit dem Beklagten zu 2) gemäß § 138 Abs. 1 und 2 BGB unwirksam. Die von den Parteien vereinbarte Nettokaltmiete liege rund 60% unter der ortsüblichen Vergleichsmiete. Der Beklagte zu 2) habe Kenntnis vom treuwidrigen Verhalten des Geschäftsführers, jedenfalls aber grob fahrlässige Unkenntnis vom Missbrauch der Vertretungsmacht gehabt. Denn er habe gewusst, dass die Gesellschafter der Klägerin die Wohnung verkaufen, nicht aber hätten vermieten wollen und dass die Bedingungen des Mietvertrags „sehr, sehr günstig“ gewesen seien. II. Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverweisen. Das Berufungsgericht habe seiner Prüfung einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt, indem es – obwohl dies für die Annahme eines kollusiven Zusammenwirkens nach § 138 Abs. 1 BGB nicht genüge – eine Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis von dem Missbrauch der Vertretungsmacht habe ausreichen lassen. Soweit eine solche Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis dazu führen könne, dass dem Vertragspartner eine Berufung auf die Wirksamkeit des Vertrags nach § 242 BGB versagt ist, fehle es vorliegend an tragfähigen Feststellungen, um die von ihm bejahte Kenntnis bzw. grobfahrlässige Unkenntnis des Beklagten zu 2) der Beklagten zu 1) als (alleiniger) Vertragspartnerin der Klägerin zurechnen zu können.
- C.
Kontext der Entscheidung I. Die Instanzgerichte sahen sich hier mit einem Lebenssachverhalt konfrontiert, bei dem einem der gesunde Menschenverstand sagt, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war: Eine GmbH ist Eigentümerin einer renovierungsbedürftigen Wohnung. Ihre Gesellschafter wollen die Wohnung unvermietet verkaufen. Ihr Geschäftsführer weiß dies, schließt namens der Gesellschaft aber trotzdem einen neuen Mietvertrag ab. Dies geschieht zu Konditionen, die von Marktüblichkeit weit entfernt sind, die Nettokaltmiete ist 60% zu niedrig. Und einer der neuen Bewohner weiß dabei sogar, dass es der Wunsch der Gesellschafter ist, dass die Wohnung überhaupt nicht vermietet wird. Dieser Bewohner ist zwar nicht Partei des Mietvertrags, aber er ist deren Lebensgefährte. II. Den letzten Gesichtspunkt nahm der BGH zum Anlass, die Berufungsentscheidung aufzuheben. Denn Feststellungen zur Kenntnis der Mieterin waren im Instanzenzug nicht getroffen worden. Das Vordergericht hatte der Mieterin die Kenntnis ihres Lebensgefährten und Mitbewohners nach § 166 BGB zugerechnet. Der BGH sah für eine solche Wissenszurechnung keine tragfähige Tatsachengrundlage. Denn der Lebensgefährte war weder echter Stellvertreter i.S.d. §§ 164 ff. BGB noch stand fest, dass er Wissensvertreter war. Die Rechtsfigur des Wissensvertreters führt mit Rücksicht auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) zur Wissenszurechnung entsprechend § 166 Abs. 1 BGB dann, wenn der Dritte mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut ist, z.B. als Verhandlungsführer oder -gehilfe, oder wenn ein solches Handeln in Kenntnis und mit Billigung erfolgt. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen kann man – so der BGH – auch unter den hier gegebenen Umständen nicht ausgehen. Die erforderliche willentliche und bewusste Einschaltung des Dritten als Wissensvertreter dürfe nicht schlicht vermutet werden, was schließlich sogar dann gelte, wenn es um die Wissenszurechnung eines Ehegatten geht. Diese Begründung ist dogmatisch stimmig, so wenig lebensnah das gefundene (Zwischen-)Ergebnis auch anmutet. Doch gibt es eben keine Wissenszurechnung kraft Lebensgemeinschaft. Vielmehr muss das, was einem die Lebenserfahrung sagt, nach den Regeln des Zivilprozesses auch festgestellt werden (können). Hierzu erhalten die Instanzgerichte jetzt nochmals Gelegenheit. III. Nur an der fehlenden Wissenszurechnung scheitert – auf Grundlage des revisionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalts – der Räumungsanspruch der Vermieterin. Denn so viel macht der BGH klar: Unterstellt, dass eine Wissenszurechnung stattfindet, liegen die Voraussetzungen des Missbrauchs der Vertretungsmacht vor. Der Geschäftsführer hat hier seine Befugnisse überschritten, indem er sich über den Wunsch der Gesellschafter hinweggesetzt hat, die Wohnung nicht zu vermieten. Zwar haben die Gesellschafter keinen entsprechenden Beschluss gemäß § 37 Abs. 1 GmbHG gefasst. Darauf kommt es aber nicht an. Der Geschäftsführer darf seine Vertretungsmacht auch nicht gegen den mutmaßlichen Willen der Gesellschafter gebrauchen (vgl. BGH, Urt. v. 05.12.1983 - II ZR 56/82 - NJW 1984, 1461) und muss die Angelegenheit im Zweifel den Gesellschaftern zur Entscheidung vorlegen (vgl. Altmeppen, GmbHG, 11. Aufl. 2023, § 37 Rn. 8; Stephan/Tieves in: MünchKomm GmbHG, 4. Aufl. 2023, § 37 Rn. 139, 142, 144). IV. Der BGH beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht „die Fälle der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts nach § 138 Abs. 1 BGB wegen kollusiven Zusammenwirkens einerseits und der nach § 242 BGB unzulässigen Rechtsausübung wegen eines vom Vertragspartner erkannten oder sich diesem aufdrängenden Missbrauchs der Vertretungsmacht andererseits nicht hinreichend unterschieden und infolgedessen zu geringe Anforderungen an die subjektiven Voraussetzungen eines kollusiven Zusammenwirkens gestellt“ habe. Kollusion verlangt das bewusste Zusammenwirken mit dem anderen Vertragsteil zum Nachteil des Vertretenen, wofür hier nicht genügend festgestellt ist. Ein Missbrauch der Vertretungsmacht hingegen schlägt schon dann auf das Außenverhältnis durch, wenn es eine auf massiven Verdachtsmomenten beruhende objektive Evidenz des Missbrauchs gibt, welche insbesondere dann gegeben ist, wenn sich nach den gegebenen Umständen die Notwendigkeit einer Rückfrage des Geschäftsgegners bei dem Vertretenen geradezu aufdrängt (vgl. die Fundstellen in Rn. 39). Hier kommt neben dem Wunsch der Gesellschafter auf Unterlassung einer Neuvermietung ein weiterer Gesichtspunkt ins Spiel: die niedrige Miete. Auch dann missbraucht nämlich der Geschäftsführer seine Vertretungsmacht, wenn er sich zwar formal innerhalb seiner Befugnisse bewegt, er aber zum Nachteil der Gesellschaft handelt. Letzteres wird man grundsätzlich annehmen können, wenn er eine Vermietung unter Marktpreis vornimmt. Auch hier erhält das Berufungsgericht Gelegenheit zur Nachbesserung. Dass die Miete 60% unter der Vergleichsmiete liegt, genügte dem BGH für die Bejahung von objektiver Evidenz nicht, genauso wenig wie die vollständige Befreiung von jeglicher Mietzahlung für die ersten Monate gegen Vornahme der fachgerechten Renovierung der Wohnung. Hier kommt es stark auf die Umstände des Einzelfalls an, die im Fall durch einige weitere Aspekte verkompliziert sind.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Gemäß § 37 Abs. 2 GmbHG sind im Interesse des Verkehrsschutzes Beschränkungen der Vertretungsmacht des GmbH-Geschäftsführers im Außenverhältnis unbeachtlich. Dies gilt aber dann nicht mehr, wenn das Vertrauen des Geschäftspartners auf den Bestand des Geschäfts nicht schutzwürdig ist, weil er weiß oder es sich ihm geradezu aufdrängen muss, dass der Geschäftsführer seine Vertretungsmacht missbraucht (vgl. BGH, Urt. v. 18.10.2017 - I ZR 6/16). Die Beschränkung im Innenverhältnis kann sich aus dem Gesellschaftsvertrag oder einem Gesellschafterbeschluss ergeben (§ 37 Abs. 1 GmbHG). In der Praxis wichtiger und in der Sache kniffliger sind aber die ungeschriebenen Beschränkungen. Dazu gehört das Erfordernis der Zustimmung der Gesellschafterversammlung zur Übertragung des alleinigen oder auch nur „wesentlichen“ Vermögensgegenstands (vgl. jüngst BGH, Urt. v. 09.01.2024 - II ZR 220/22 m. Anm. Bergmeister, jurisPR-BGHZivilR 8/2024 Anm. 1) und ganz generell zu „ungewöhnlichen“, „außergewöhnlichen“ bzw. „besonders bedeutsamen“ Geschäften (vgl. den Überblick bei Bayer/J. Schmidt in: BeckOGK, Stand: 01.12.2024, § 37 GmbHG Rn. 40 m.w.N.). Dazu gehört aber auch der Abschluss eines Vertrags, der wegen seiner Konditionen objektiv nachteilhaft für die Gesellschaft ist. In die letzte Kategorie fällt der hier besprochene Fall, bei dem die vereinbarte Miete marktunüblich niedrig war. Von der Erkenntnis eines für die Gesellschaft objektiv nachteilhaften Rechtsgeschäft zur Evidenz des entsprechenden objektiv pflichtwidrigen Geschäftsführerhandelns für den Geschäftsgegner ist es dann oft nicht mehr weit.
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