Corona-Pandemie:
Die Verhandlung per Videokonferenz nach § 128a ZPO als Alternative zur Präsenzverhandlung

Die weltweite Verbreitung des Corona-Virus hat (nicht nur in Deutschland) zu weitgehenden Kontaktbeschränkungen und einem umfassenden wirtschaftlichen Lockdown geführt. Auch wenn derzeit Lockerungen umgesetzt werden, ist absehbar, dass bestimmte Einschränkungen auch weiterhin gelten werden und jeder Kontakt in der Praxis das Risiko einer Infektion birgt. Diese Umstände haben erhebliche Auswirkungen auch für die Justiz.

Der nachfolgende Beitrag von Dr. Reto Mantz und Jan Spoenle* erschien in der Ausgabe 11/2020 der Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR 2020, 637-644 – und behandelt die Durchführung der mündlichen Verhandlung im Wege der Videokonferenz gem. § 128a ZPO als Alternative zur Präsenzverhandlung im Zivilprozess aus Sicht der Praxis. Neben einer Darstellung der rechtlichen Hintergründe einschließlich der Vor- und Nachteile geben die Autoren Hinweise zur Technik und berichten über eigene Erfahrungen aus ihrer Praxis. In einem nächsten Beitrag (MDR 12/2020) wird das schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO als eine weitere Handlungsoption der Justiz beleuchtet.

Videokonferenz

I. Einleitung

Zu Recht stuft die Politik die Gerichte als „systemrelevant“ ein, so dass diese durchgehend geöffnet waren und sind. Als Folge der Corona-Pandemie sind an den Gerichten jedoch öffentliche Sitzungen in großem Umfang aufgehoben worden. Diejenigen Sitzungen, die nicht aufgehoben wurden, werden mit entsprechend strengen Auflagen durchgeführt, die dem Schutz aller Beteiligten dienen. Nachdem mittlerweile die Auflagen gelockert wurden, bereiten sich die Gerichte zumindest teilweise auf eine Rückkehr zum „Normalbetrieb“ vor. Nach wie vor wird aber auch davor gewarnt, dass im Falle wieder exponentiell steigender Infektionszahlen ein weiterer Lockdown, ggf. sogar mit tiefgreifenderen Einschränkungen als zuvor, erforderlich sein könnte. Bis auf weiteres bietet es sich also an, alternative Möglichkeiten unter Vermeidung der Präsenz aller Beteiligten in den Blick zu nehmen.

1. Infektionsgefahr durch mündliche Verhandlungen

Sieht man sich die aktuellen Beschränkungen und die räumliche Situation in den Gerichten an, wird schnell deutlich, dass die Erfüllung der Auflagen und eine effektive Verhinderung von Infektionen derzeit nicht immer und überall möglich sind. Insbesondere soll der physische Kontakt zwischen allen Personen auf ein Minimum reduziert werden; wo dies nicht vermeidbar ist, sollen 1,5 m Mindestabstand eingehalten werden, wobei gerade in geschlossenen Räumen im Grunde ein noch (deutlich) größerer Abstand bei gleichzeitiger, guter Belüftung sinnvoll wäre.

An einer normalen mündlichen Verhandlung können eine Vielzahl von Personen teilnehmen. Neben der Öffentlichkeit, die meist hinten im Raum Platz nimmt, sind dies die Parteien selbst, ihre Parteivertreter, die Mitglieder des Gerichts und ggf. Zeugen, Sachverständige und Dolmetscher. Bei einer Mehrzahl von Zeugen müssen diese üblicherweise auf Sitzplätzen vor dem Gerichtssaal Platz nehmen.

Bei einer „typischen“ Zivilverhandlung mit einem (Einzel-)Richter und zwei Parteien bzw. (nur) deren Vertretern wird der erforderliche Abstand noch eingehalten werden können. Besteht der zuständige Spruchkörper aber aus einer Kammer oder einem Senat in Vollbesetzung, müssen an der Richterbank drei Personen Platz nehmen. Während die Richterbank in der Regel noch eine imposante Breite aufweisen mag, gilt dies für die Tische der Parteien und ihrer Vertreter nicht immer. Zusätzlich muss ein hinreichender Abstand zum Zeugenstuhl und zur Öffentlichkeit bestehen.

Im Ergebnis werden bis auf weiteres wohl lediglich große Säle mit entsprechend großer Richterbank für Verhandlungen verwendet werden können. Weitere Maßnahmen wie (mobile) Plexiglastrennwände, Desinfektion, Anpassung der Belüftung sowie Anordnung des Tragens eines Mundschutzes können die Infektionsgefahr reduzieren, sie lässt sich aber vermutlich trotzdem nicht sicher ausschließen. Zudem verbietet § 176 Abs. 2 Satz 1 GVG im Grunde jede Form der Verhüllung, also auch den Mundschutz. Dabei kann der Vorsitzende nach § 176 Abs. 2 Satz 2 GVG Ausnahmen gestatten, was sich derzeit geradezu aufdrängt. Hinzu kommt allerdings, dass für die Beteiligten mit Ausnahme des Spruchkörpers eine Verhandlung häufig mit einer ggf. weiten Anreise verbunden ist – auch diese stellt schon ein Risiko dar(1).

Sinnvoll wäre es daher, wenn alle Beteiligten – das Gericht, die Parteien und Parteivertreter und ggf. auch die Öffentlichkeit – mit anderen Personen nicht oder so wenig wie möglich in Kontakt kämen, so dass jede Lösung, die maximal viele Beteiligte aus dem eigenen Büro oder von zu Hause aus teilnehmen lässt, vorzugswürdig erscheint.

2. eJustice und die IT-Ausstattung der Gerichte

Will man jedoch Lösungen zur Verfügung stellen, um mündliche Verhandlungen mit Beteiligten zu führen, die von verschiedenen Orten aus teilnehmen können, so kann dies nur mit einer entsprechenden technischen Ausstattung der Gerichte gelingen – welche dem Standard, der in vielen Kanzleien, aber auch bei Privatleuten und damit auch den meisten Richtern zu Hause zur Verfügung steht, bislang notorisch hinterherhinkt. In diesem Zusammenhang erweist sich die voranschreitende Ausstattung der Gerichte mit Hardware für die elektronische Akte nun als hilfreich: So können vielerorts die im Zusammenhang mit eJustice-Projekten für die Sitzungssaalvisualisierung angeschafften Beamer und Monitore, aber auch entsprechend ausgestattete Laptops für Videokonferenzen i.S.d. § 128a ZPO nutzbar gemacht werden.

Auch die Vorbereitung mündlicher Verhandlungen im häuslichen Arbeitszimmer gelingt durch die Verwendung von über Bootsticks oder Zertifikat-Lösungen hergestellten VPN-Zugängen in manchen Bundesländern – und speziell an den Gerichten, an denen bereits Verfahrensakten elektronisch geführt werden –, ohne den umfangreichen Transport schwerer „Gürteltiere“. Und selbst wo dies (noch) nicht möglich ist, lassen sich kreative Lösungen zur Kontaktvermeidung finden – wie etwa der Kofferraumservice am LG Frankfurt/M., teils auch „Akten-McDrive“ genannt, der es Richtern erlaubt, vorbestellte Akten vom Wachtmeister direkt in den Kofferraum des eigenen Fahrzeugs liefern zu lassen.

Allerdings stehen entsprechende technische Lösungen weder in jedem Bundesland, noch bei jedem Gericht und auch an eJustice-fähigen Standorten bei weitem nicht für alle Beschäftigten zur Verfügung. Daher dürfte es sich anbieten, in der aktuellen Situation bereits geplante Ausstattungen vorzuziehen und damit so schnell wie möglich die technischen Voraussetzungen für die Durchführung von mündlichen Verhandlungen über Videokonferenzen in der Breite zu schaffen(2). Der von der eJustice-Gesetzgebung des Bundes vorgegebene Zeitplan zur Einführung elektronischer Akten wird aber ohne Zweifel dafür sorgen, dass künftige Pandemien deutlich weniger Einfluss auf die Arbeitsabläufe bei Gerichten haben werden, als dies aktuell zu beobachten ist.

II. Die Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung nach § 128a ZPO

Bereits seit dem Jahr 2002 stellt die Zivilprozessordnung mit § 128a ZPO ein Instrument zur Durchführung mündlicher Verhandlungen und Beweisaufnahmen unter Einbeziehung technischer Hilfsmittel zur Übertragung von Bild und Ton zur Verfügung. Ziel der Regelung war es von Anfang an, zum einen Verfahrensbeteiligten die Teilnahme von einem anderen Ort als dem Gerichtssaal aus zu ermöglichen (§ 128a Abs. 1 ZPO ) und zum anderen Beweisaufnahmen mit weit entfernten Zeugen oder Sachverständigen durchführen zu können (§ 128a Abs. 2 ZPO ) und dadurch mit der Anreise verbundene Zeit und Kosten sparen zu können(3). Der Beitrag beschäftigt sich im Folgenden mit der gemeinsamen Anwendung beider Regelungen; separate Beweisaufnahmen im Wege der Bild- und Tonübertragung, aber unter Anwesenheit aller übrigen Prozessbeteiligten im Sitzungssaal bieten unter Pandemie-Gesichtspunkten keinen Vorteil, bringen aber unter Umständen nicht unerhebliche Nachteile mit sich (dazu unten III. Erfahrungen aus der Praxis).

1. Voraussetzungen

a) Anwendungsbereich

Die Vorschrift ist grundsätzlich auf alle mündlichen Verhandlungen in Zivilsachen und damit – jedenfalls analog(4) – auch auf die vorangehende Güteverhandlung anwendbar(5). Gerade unter dem Gesichtspunkt einer Pandemie und der damit verbundenen Gefahren bei persönlicher Anwesenheit der Beteiligten erscheint es widersinnig und praxisfern, wenn die Parteien gem. § 128a Abs. 1 Satz 1 ZPO „Verfahrenshandlungen“ vornehmen, also insbesondere Anträge stellen dürfen, sich aber vor der Stellung von Anträgen nicht unter freier Würdigung aller Umstände über eine gütliche Einigung unterhalten können sollen.

Anders als die übrigen Prozessbeteiligten(6) muss sich das Gericht selbst während einer Videokonferenzverhandlung im Sitzungsraum aufhalten(7); dabei wird es sich in der Regel um einen Gerichtssaal oder andere vom Gericht genutzte Räumlichkeiten handeln. Eine Verhandlung vom heimischen Arbeitszimmer aus zu leiten scheidet also aus. Im Fall von Spruchkörpersitzungen wird damit die Anwesenheit aller Kammer- oder Senatsmitglieder im Saal erforderlich sein. Auch die Öffentlichkeit der Videokonferenzverhandlung ist grundsätzlich – aber auch nur – am Sitzungsort zu gewährleisten, was durch die zeitgleiche Übertragung der übrigen Verfahrensbeteiligten in Bild und Ton erreicht werden kann(8).

Die Parteien und/oder deren Prozessbevollmächtigte können sich ebenso an einem anderen Ort aufhalten wie ein anzuhörender Sachverständiger oder ein zu vernehmender Zeuge; dabei ist grundsätzlich jede denkbare Kombination von Anwesenden und Abwesenden bis hin zu einem allein im Sitzungssaal sitzenden Einzelrichter denkbar, der mit allen Beteiligten – unter Gesichtspunkten der Pandemie-Bekämpfung am sinnvollsten – so verhandeln kann, dass jeder von seiner Kanzlei, seinem (Sachverständigen-)Büro etc. aus teilnimmt, was dem Willen des Gesetzgebers entspricht(9). Die Parteien haben jedoch ebenso wie ihre Prozessbevollmächtigten das Recht, stattdessen einfach im Sitzungssaal zu erscheinen(10), weshalb de lege lata das Einverständnis der Parteien, dem Saal fernzubleiben, während der Pandemie erstrebenswert erscheint.

Nachdem eine Aufzeichnung der Videokonferenz wegen § 128a Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht stattfinden kann, bleiben die allgemeinen Regeln zur Protokollierung der Verhandlung durch das Gericht unberührt(11). Der Ablauf einer etwaigen Beweisaufnahme im Rahmen einer Videokonferenz bestimmt sich grundsätzlich nach den Regeln von § 128a Abs. 2 ZPO , der allerdings lediglich eine gesetzliche Grundlage für die Vernehmung von Parteien, Zeugen und Sachverständigen bietet(12). Ein Urkundenbeweis lässt sich damit im Rahmen einer Videokonferenz nicht führen, die Inaugenscheinnahme etwa von Objekten, Fotografien oder auch Dokumenten wird jedoch gem. § 371 Abs. 1 ZPO bzw. mit Einverständnis der Parteien gem. § 284 S. 2 ZPO überwiegend für zulässig gehalten(13). Sie lässt sich im Übrigen durch entsprechende Funktionen der Videokonferenztechnik sehr einfach bewerkstelligen (dazu unten III. Erfahrungen aus der Praxis).

b) Verfahren

Das Gericht kann eine Videokonferenzverhandlung nach § 128a ZPO auf Antrag einer oder aller Parteien, aber auch von Amts wegen anordnen, was durch (unanfechtbaren, § 128a Abs. 3 Satz 2 ZPO ) Beschluss geschieht(14). Dabei soll auch der „Übertragungsort“ bestimmt werden, an welchem den jeweiligen Beteiligten der Aufenthalt während der mündlichen Verhandlung „gestattet“ wird (zur Formulierung s. Beschlussvorschlag unten III.1.c)(15). Dies kann zum einen vor dem Hintergrund bedeutsam sein, dass eine Partei säumig wird, wenn sie weder an dem so bestimmten Ort noch im Sitzungssaal anwesend ist(16); zudem wird argumentiert, dass der Aufenthalt von Beteiligten in ihrem privaten Bereich mit § 219 ZPO kollidieren und wegen der Gefahr von Manipulationen dem ordnungsgemäßen Ablauf der Verhandlung zuwiderlaufen könnte(17).

Insoweit ist zwar insbesondere für Beweisaufnahmen denkbar, dass etwa einem Zeugen von einer für die übrigen Beteiligten nicht einsehbaren Position hinter der Kamera Antworten vorgegeben werden. Ob es allerdings eher eine Gefahr oder eine Chance für die Rechtspflege darstellt, Parteien zu gestatten, sich von ihrem häuslichen Arbeitszimmer aus zuzuschalten, muss die Praxis zeigen. Der Vermeidung nicht zwingend erforderlicher Kontakte und Reisen wäre jedenfalls ein Bärendienst erwiesen, wenn die Gerichte das Infektionsrisiko auf die Prozessbevollmächtigten verlagern, indem sie Parteien für das persönliche Erscheinen in deren Kanzleien beordern.

c) Fragen der Technik

In technischer Hinsicht lassen sich verschiedene Lösungen unterscheiden, die unterschiedlich große Investitionen und Aufwände vor Ort verursachen. Eine stetig wachsende Anzahl an Gerichten verfügt über klassische, für die Vernehmung von Zeugen im Ausland oder weit entfernten Gerichtsorten geeignete Videokonferenzanlagen im Sinne einer „On-Premises-Architektur“(18), deren Standorte in einem Online-Verzeichnis abrufbar sind(19). Diese Anlagen basieren in der Regel auf dem Standard H.323 und sind daher interoperabel, bieten eine hervorragende technische Qualität und erlauben auch die Verbindung von mehreren Gerichtssälen verschiedener Standorte oder von Gerichtssälen mit Besprechungsräumen. Die dort zum Einsatz kommenden Kameras können automatisch auf den jeweiligen Sprecher fokussieren; eine gute Audioqualität dank hochwertiger Mikrofone und Lautsprecher ist ebenfalls Stand der Technik. Demgegenüber finden sich solche Anlagen wegen der nicht selten mindestens fünfstelligen Investitionen pro Anlage häufig nur in einem einzelnen, großen Saal, der in der Praxis eher für Strafprozesse zur Verfügung gestellt wird als für Zivilprozesse(20).

Eine wesentlich einfachere Variante stellen die im Vordringen befindlichen Cloud-Architekturen (auch unter dem Begriff Ad-hoc-Lösung oder Laptop-Lösung bekannt) dar. Hierunter fallen alle Videokonferenzdienste, die sich ohne großen Aufwand von einem Laptop aus einrichten und bedienen lassen, und die mancher Anwender auch aus dem Privatbereich kennt: So setzt etwa Niedersachsen auf den Einsatz des von Microsoft betriebenen Dienstes Skype for Business, in anderen Bundesländern wird auch Cisco WebEx verwendet, und grundsätzlich ist auch die Nutzung des immer populärer werdenden, aber auch von Hiobsbotschaften über Sicherheitslücken und Datenschutzprobleme geplagten Dienstes Zoom aus technischer Sicht problemlos möglich. Gemeinsam ist all diesen Diensten, dass sie für Endanwender konzipiert und daher auch vom einzelnen Richter leicht zu bedienen sind, auf der Gegenseite – also bei den übrigen Prozessbeteiligten – i.d.R. ohne das Erfordernis der Installation von Software auch nur über den Browser genutzt werden können, und außer dem Vorhandensein von Laptop mit Webcam, Mikrofon und Lautsprecher respektive Tablet oder Smartphone keine weiteren Anforderungen an die Ausstattung der Beteiligten stellen. Gleichzeitig können diese Werkzeuge ihre Nutzer vor erhebliche Probleme im Bereich Datenschutz und IT-Sicherheit insbesondere bei unbedarfter Nutzung stellen, wie eine versehentlich frei zugängliche, aber eigentlich interne Videokonferenz des bayerischen Gesundheitsministeriums mit dem bayerischen Innenminister Herrmann zeigt(21).

Den Königsweg in technischer Hinsicht dürften derzeit Hybrid-Architekturen darstellen, die die Vorteile der stabilen und sicheren On-Premises-Architekturen mit der Ubiquität von Cloud-Architekturen kombinieren: Als Reaktion auf die Pandemie wurde etwa in Baden-Württemberg die Nutzung des virtuellen Konferenzraumsystems auf Basis der dort bereits betriebenen On-Premises-Lösung von Polycom für die allgemeine Nutzung vom Laptop aus freigeschaltet. So kann ein von einer Landesoberbehörde administriertes Videokonferenzsystem mit einer Software kombiniert werden, die von jedem Richter im Landesdienst genutzt und einfach bedient werden kann. In der Kombination mit der eJustice-Ausstattung der Sitzungssäle eignet sich so jeder Saal für mündliche Verhandlungen im Wege der Videokonferenz. Der Nachteil dieser Lösung besteht in der bislang noch begrenzten Anzahl gleichzeitig möglicher Konferenzen – in diesem Punkt sind Cloud-Lösungen naturgemäß besser aufgestellt.



Dr. Reto Mantz

  • Diplom-Informatiker
  • 2010-2012 Rechtsanwalt im Bereich IT-/IP-/Patentrecht
  • seit 2012 Richter am LG Frankfurt/M.
  • Schwerpunkte: Gewerblicher Rechtsschutz, Presserecht, Datenschutzrecht

Jan Spoenle

  • 2011 Eintritt in den Justizdienst des Landes Baden-Württemberg
  • 2013 - 2017 Abordnung an das Justizministerium Baden-Württemberg, Referat für Information und Kommunikation
  • seit 2017 Richter am LG Heilbronn
  • Lehrbeauftragter für Urheber- und Wettbewerbsrecht
  • Schwerpunkte: IT-Recht, Mietrecht, Baurecht

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2. Vorteile

Seit der letzten Änderung der Vorschrift durch das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren im Jahr 2013 setzt die Anordnung des Vorgehens gem. § 128a ZPO keine Zustimmung der Parteien mehr voraus. Dieser Vorteil gegenüber dem schriftlichen Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO ist jedoch in der Praxis wertlos, weil die Parteien de lege lata nicht daran gehindert sind, dennoch im Gerichtssaal zu erscheinen. Geht es also darum, zur Vermeidung von Reisen und Kontakten mit den Parteien und/oder ihren Prozessbevollmächtigten rein per Videokonferenz zu verhandeln, setzt ein solches Vorgehen faktisch deren Zustimmung voraus.

Liegt diese Zustimmung beiderseits vor – gepaart mit der erforderlichen Bereitschaft, sich mit den notwendigen technischen Voraussetzungen zu beschäftigen – so bietet das Vorgehen nach § 128a Abs. 1 ZPO jedoch den Vorteil, dass dafür geeignete Verfahren trotz der Pandemie zügig vorangetrieben werden können. Die mündliche Verhandlung kann ohne inhaltliche Veränderungen und Einschränkungen durchgeführt werden; die Videokonferenz ist mit Ausnahme des Urkundenbeweises rechtlich einer physischen mündlichen Verhandlung nahezu ebenbürtig – was auch die Terminsgebühr auf anwaltlicher Seite einschließt. Und schließlich lässt eine flächendeckende Ausstattung mit und Nutzung von Videokonferenztechnik während der Pandemie zurecht erwarten, dass diese Form der Verhandlung als üblich und akzeptiert gelten kann – wodurch auch nach der Pandemie Termine, zu denen Prozessbevollmächtigte wegen der 20-minütigen Erörterung von Rechtsfragen bislang ohne Murren über hunderte Kilometer angereist wären, möglicherweise ganz selbstverständlich gem. § 128a ZPO abgewickelt werden können(22).

3. Nachteile

Wie bereits gezeigt, kann das Gericht die Teilnahme an einer Videokonferenz zwar von Amts wegen anordnen, aber nicht erzwingen. Daneben hat die geltende Regelung von § 128a ZPO weitere Nachteile, soweit es die Bekämpfung der Pandemie betrifft. So ist es für die Vorsitzenden wegen § 128a Abs. 1 Satz 2 ZPO unmöglich, sich während der Verhandlung woanders als im Sitzungssaal aufzuhalten – was natürlich nicht zwingend als Nachteil empfunden werden muss(23). Zudem würde die Durchführung von Verhandlungen an einem anderen Ort als dem Sitzungssaal schwierig zu beantwortende Fragen in Bezug auf die Beteiligung der Öffentlichkeit aufwerfen. Für Kollegialgerichte ist jedoch vielfach auch unter Einsatz der Videokonferenztechnik der eigentlich erforderliche Mindestabstand nicht einzuhalten, wenn sich alle Mitglieder der Kammer oder des Senats im selben Saal befinden und auf der Videoübertragung gleichzeitig sichtbar sein müssen.

Daneben existieren aus Sicht von Kollegialgerichten auch konzeptionell zu lösende Probleme: Wie kann etwa sichergestellt werden, dass sich die Kammer respektive der Senat unter Wahrung des Beratungsgeheimnisses zur Beratung zurückziehen kann? Hier könnte man an die sog. „Breakout Rooms“ der Cloud-Lösung Zoom denken, die das Aufteilen von Videokonferenzteilnehmern auf mehrere „Räume“ erlaubt, die aber wohl derzeit in der deutschen Justiz nicht zum Einsatz kommt. Eine entsprechende Funktion gibt es auch bei der Videokonferenz-Software „BigBlueButton“, der allerdings eine deutliche Ausrichtung auf den Bildungssektor zugrunde liegt. Denkbar wäre auch, dass die Kammer- oder Senatsmitglieder jeweils die Video- und Audiofunktion ihres Clients deaktivieren und sich anschließend physisch beraten – was jedoch ebenfalls die Möglichkeit erfordert, den notwendigen Abstand einzuhalten.

Schließlich bleiben die allgemeinen Nachteile des Einsatzes von komplexen technischen Verfahren: Natürlich hängt der Erfolg von mündlichen Verhandlungen gem. § 128a ZPO wesentlich davon ab, dass die Technik „funktioniert“; welcher Jurist hat es noch nicht erlebt, dass „der Computer streikt“ – und am Ende der Anwender selbst sich als Sand im Getriebe entpuppt hat(24)? Solche Befürchtungen sollten aber gerade in der aktuellen Lage einem Mix aus Neugierde und Mut zum Aufbruch weichen, denn die praktischen Erfahrungen zeigen ganz deutlich, dass die Vorteile von Videokonferenzen ihre Nachteile bei weitem überwiegen.

Nicht von der Hand zu weisen ist, dass gerade die Einvernahme von Zeugen, aber auch die informatorische Anhörung der Parteien durch die Videokonferenz erschwert werden kann. Naturgemäß sind der persönliche Eindruck und die Einschätzung des Verhaltens über eine Videoübertragung kaum gleichwertig zur Einvernahme vor Ort. Außerdem könnte die gerichtliche Verhandlung aus Sicht der Beteiligten wie eine „beliebige Videokonferenz“ wahrgenommen werden, was der Bedeutung der mündlichen Verhandlung, ihrem formalen Rahmen und auch der Rolle von Gericht und Anwälten möglicherweise nicht gerecht wird. Die Entscheidung, wie konkret verhandelt wird, muss daher weiter dem Gericht überlassen bleiben, wobei angesichts der derzeitigen Pandemie die Vorteile von Videolösungen deutlich überwiegen dürften.

III. Erfahrungen aus der Praxis

Die Verfasser haben erste Erfahrungswerte aus der Praxis gesammelt und möchten eine Analyse dieser Erfahrungen mit „best practice“-Hinweisen für das konkrete Vorgehen vor, während und nach der Anordnung von Videokonferenzen gem. § 128a ZPO kombinieren, um die Handhabung dieser Instrumente zu erleichtern. Nach den bisherigen Erfahrungen der Verfasser, aber auch der befragten Kollegen, Parteien, Prozessbevollmächtigten und Sachverständigen, die bereits im Wege des § 128a ZPO mündlich verhandelt haben, liegt es nahe, dass sich bestimmte Verfahren besser für Videokonferenzen eignen als andere. Das liegt am Verlust einer Dimension, derer man sich regelmäßig erst bewusst wird, wenn sie fehlt: Anders als unter gleichzeitiger Anwesenheit von Menschen in ein und demselben Raum ist es im Rahmen von Videokonferenzen ungleich schwieriger, atmosphärische Vorgänge zu bemerken, zu deuten und zum Maßstab des eigenen Handelns zu machen. Der eigene Zugang zum Verständnis der Körpersprache, der Mimik und Stimmmodulation anderer Menschen funktioniert innerhalb von Videokonferenzen jedenfalls nur eingeschränkt(25).

Daraus lässt sich ableiten, dass Verfahren mit stark emotionalem Bezug sich ebenso wenig für Verhandlungen gem. § 128a ZPO eignen wie solche Verfahren, in denen die ganzheitliche Wahrnehmung einer Partei oder eines Zeugen im Rahmen von Anhörung oder Vernehmung eine wichtige Rolle spielen kann. Ideal geeignet für Videokonferenzen erscheinen demgegenüber mündliche Verhandlungen, welche nur mit den Prozessbevollmächtigten oder jedenfalls ohne das Anordnen des persönlichen Erscheinens von Parteien durchgeführt werden sollen sowie Verhandlungen, die sich im Wesentlichen auf die Erörterung von Rechtsfragen beschränken. Auch die Anhörung von Sachverständigen – ob in selbstständigen Beweisverfahren oder nach Gutachteneingang in der Hauptsache – lassen sich mit den Mitteln der Videokonferenz äußerst zufriedenstellend durchführen.

1. Einleitung

Erwägt das Gericht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Wege des § 128a ZPO oder hat ein Beteiligter dies beantragt, so steht die Entscheidung darüber im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, wobei das Ermessen in der aktuellen Situation zumindest bei vorhandenen technischen Möglichkeiten erheblich reduziert sein dürfte(26). Ohne entsprechenden Antrag (der bei Zeugen und Sachverständigen ggf. angeregt werden kann) sind verschiedene Wege denkbar, um das Einverständnis der Beteiligten zu einer Teilnahme an einer Videokonferenzverhandlung von einem anderen Ort aus zu erlangen. Als naheliegend und äußerst erfolgversprechend, aber auch aufwendig hat sich in der Praxis der Griff zum Telefonhörer bewährt: Nach kurzer persönlicher Vorsprache sind die meisten Beteiligten bereit, sich auf das „Experiment“ einer Verhandlung nach § 128a ZPO einzulassen und dem Sitzungssaal fernzubleiben.

Alternativ hierzu – gerade bei Massenverfahren, in denen die Sachbearbeiter für die Gerichte per Telefon ohnehin faktisch unerreichbar sind – bietet sich eine Verfügung an, mit der die Parteien über die Absichten des Gerichts informiert und der weitere Ablauf kurz dargestellt wird. Gleichzeitig lassen sich Aufgaben verteilen, um Informationen zur leichteren Durchführung der Videokonferenz zu sammeln. Der Basistext für eine solche Verfügung könnte etwa folgendermaßen lauten:

Verfügung zur Durchführung einer Videokonferenz

Das Gericht erwägt, die in pp. anberaumte Verhandlung im Wege des § 128a ZPO als Videokonferenz durchzuführen. Das Gericht beabsichtigt, einen entsprechenden Beschluss zu fassen und den Parteien eine Anleitung zur Teilnahme sowie Teilnahmelinks per E-Mail zukommen zu lassen.

Die Prozessbevollmächtigten sollen prüfen und mitteilen, ob bei den Parteien die notwendigen Mindestvoraussetzungen vorhanden sind (Internetverbindung, Notebook/iPad oder anderes Tablet mit Kamera, Mikrofon und Lautsprecher, besser Headset). Die Parteien können grundsätzlich von zu Hause aus an der Verhandlung teilnehmen; die Prozessbevollmächtigten können von ihren Kanzleiräumen aus teilnehmen.

Das Gericht bittet um Mitteilung sämtlicher E-Mail-Adressen für Teilnahmelinks binnen zwei Wochen.

2. Vorbereitung

Bevor eine Videokonferenzverhandlung erstmals durchgeführt wird, sollte sie von allen Beteiligten ausprobiert werden. Dazu gehört, dass am Gericht die technischen Voraussetzungen überprüft und getestet werden. Richter sollten, falls sie über eine Cloud- oder Hybrid-Architektur vom Notebook aus die Verhandlung leiten wollen, ein Headset verwenden, damit sichergestellt ist, dass sie für die anderen Beteiligten gut verständlich sind und auch selbst alles hören können. Integrierte Mikrofone und Lautsprecher sind häufig zu schwach oder auch – ob versehentlich oder absichtlich – deaktiviert. Wer bereits mit einer Spracherkennungssoftware arbeitet, hat das passende USB-Headset i.d.R. bereits im Büro; ansonsten sollte eine Beschaffung über die Verwaltung mit Verweis auf die Pandemie unproblematisch möglich sein.

In der Praxis hat es sich als hilfreich erwiesen, den Beteiligten einen Termin für eine kurze „Testkonferenz“ wenige Tage vor der eigentlichen mündlichen Verhandlung anzubieten. Je nach verwendetem Dienst muss dafür ein Zeitfenster vorab gebucht werden, was man bedenken sollte. Mit der Testkonferenz können insbesondere die Rechtsanwälte erproben, ob die etwaig vorzunehmende Einrichtung einer Software geklappt hat, ob die Leistung der Internetanbindung der Kanzlei eine ausreichende Qualität liefert und – nicht ganz unwesentlich – wie sich so eine Videokonferenz eigentlich „anfühlt“. Gleiches gilt natürlich auch auf der richterlichen Seite, wenn es sich um das erste nach § 128a ZPO geführte Verfahren handelt. Zudem sollte man die Gelegenheit nutzen, um sich mit der Bedienung der Lautsprecheranlage und des im Saal vorhandenen Bildschirms oder Beamers vertraut zu machen für den Fall, dass erschienene Öffentlichkeit eingebunden werden muss.

Ist die Probe erfolgreich absolviert, lässt man den Beteiligten als abschließenden Vorbereitungsschritt die Teilnahmelinks für die eigentliche mündliche Verhandlung auf demselben Weg zukommen wie bereits bei der Testkonferenz; das kann formlos per E-Mail geschehen, aber auch im Rahmen einer Ladung oder sonstigen Verfügung. Letzteres hat allerdings den Nachteil, dass die Beteiligten die Adresse umständlich abtippen müssen, sofern sie ihre Gerichtspost nicht bereits elektronisch über das beA erhalten.

3. Durchführung

Vor der eigentlichen mündlichen Verhandlung steht noch die Beschlussfassung gem. § 128a ZPO , die grundsätzlich durch das Gericht in Vollbesetzung erfolgt. Der Beschluss könnte unter Beachtung der oben unter II. 1. a) und b) genannten Grundsätze etwa wie folgt lauten:

Beschluss zur Durchführung einer Videokonferenz

I. Für die in pp. anberaumte mündliche Verhandlung wird die Bild- und Tonübertragung gem. § 128a ZPO angeordnet.

II. Den Parteien wird gestattet, an der mündlichen Verhandlung von ihrem Wohnsitz aus teilzunehmen. Den Prozessbevollmächtigten wird gestattet, an der mündlichen Verhandlung von ihren Kanzleiräumen aus teilzunehmen.

[III. Dem anzuhörenden Sachverständigen X/Zeugen Y wird gestattet, an der mündlichen Verhandlung von seinem Geschäftssitz/Wohnsitz aus teilzunehmen.]

Der Beschlussvorschlag geht praxisnah davon aus, dass die mündliche Verhandlung bereits vor der Pandemie oder jedenfalls ohne die Vorstellung anberaumt worden ist, dass die mündliche Verhandlung als Videokonferenz durchgeführt werden soll; falls der Beschluss gem. § 128a ZPO bereits mit Terminsbestimmung gefasst wird, stellt sich die Frage, wo die Parteien zu laden sind. Nachdem es ihnen de lege lata unbenommen bleibt, im Gerichtssaal zu erscheinen, dürfte eine „normale“ Ladung am Gerichtsort sinnvoll sein. Die Gestattung im Beschluss gibt den Beteiligten dann ein Wahlrecht, was ggf. ergänzend klargestellt werden kann.

Zu Beginn der mündlichen Verhandlung sollten außer der Anwesenheit der Beteiligten auch deren Aufenthaltsort und wegen GK-KV Ziff. 9019 auch der Beginn (und später das Ende) der Konferenz festgehalten werden(27). Außerdem hat es sich bewährt, mit den Beteiligten kurz den Ablauf zu erörtern und insbesondere Regeln für den Austausch von Argumenten festzulegen: Aufgrund der minimalen zeitlichen Verzögerung in Videokonferenzen fällt man sich leicht unabsichtlich ins Wort. Wenn der Vorsitzende das Wort erteilt, lässt sich das vermeiden.

Während der Videokonferenz kann es vorkommen, dass einmal ein Halbsatz verloren geht oder auch ein Teilnehmer aus der Konferenz „fliegt“; beides hat i.d.R. mit einer instabilen oder zu schmalbandigen Internetverbindung zu tun. Darauf sollte man vorbereitet sein und die Beteiligten um Nachsicht und Wiederholung einer verschluckten Formulierung bitten; im Sinne der Akzeptanz von Videokonferenzverhandlungen wäre es eher abträglich, wenn technische Probleme zu Nachteilen führen könnten. Das gilt ähnlich auch für die Annahme der Säumnis einer Partei; wenn etwas technisch nicht funktioniert, dürfte die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen gehindert sein(28). Grundsätzlich muss die Partei jedoch alle zumutbaren Schritte unternehmen, um entweder am Gerichtsort oder per Videokonferenz teilzunehmen. Dazu gehört auch das entsprechende Freischalten einer Firewall oder eines Routers und die ggf. erforderliche Inanspruchnahme von IT-Unterstützungsleistungen.

IV. Regelungsmöglichkeiten de lege ferenda

Mit § 128a ZPO(29) gibt es schon heute Möglichkeiten, Verfahren kontaktlos oder zumindest mit geringerem physischen Kontakt und dennoch unter Wahrung der zivilprozessualen rechtsstaatlichen Voraussetzungen weiterzuführen. Allerdings bestehen wie oben dargestellt auch teils erhebliche Nachteile, die ggf. durch gesetzgeberische Tätigkeit auch kurzfristig zumindest in der aktuellen Situation behoben oder gemindert werden könnten. Dass dies grundsätzlich möglich ist, hat der Gesetzgeber bereits mit Blick auf Verfahren vor den Arbeits- und Sozialgerichten gezeigt(30). So sollte dort nach einem veröffentlichen Referentenentwurf u.a. mit § 114 ArbGG -E dem Gericht die Befugnis eingeräumt werden, eine Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung verpflichtend anzuordnen, so dass die Wahlmöglichkeit zur Teilnahme im Sitzungssaal gem. § 128a Abs. 1 ZPO entfällt. Ferner soll die gleichzeitige Anwesenheit von Vorsitzendem und ehrenamtlichen Richtern weder im Sitzungssaal noch zum Zwecke der Beratung erforderlich sein(31). Auf die Öffentlichkeit wird insoweit verzichtet. Die Regelungen sollten mit Ablauf des 31.12.2020 automatisch außer Kraft treten. Allerdings scheint das Bundesarbeitsministerium die dargestellten Möglichkeiten nun doch aus dem Entwurf streichen zu wollen(32).

Auf die Frage, ob und inwieweit die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden kann oder soll, soll hier nicht näher eingegangen werden(33). Dennoch lohnt es sich, über eine entsprechende Regelung wie in § 114 ArbGG -E nachzudenken. Insbesondere ist die Anordnungsbefugnis zur Teilnahme per Videoübertragung sinnvoll, ebenso die Möglichkeit, dass das Gericht selbst nicht im Sitzungssaal zusammentreten muss. Öffentlichkeit könnte darüber hinaus dadurch hergestellt werden, dass der Videostream zugleich in einen hierfür bereitgestellten Sitzungssaal übertragen wird, in dem sich dann nur „die Öffentlichkeit“ aufhält – selbstredend mit entsprechender physischer Distanz und/oder anderen Schutzmaßnahmen. Angedacht werden kann auch, ob – ähnlich wie in der Schweiz vorgesehen (dazu unten V.1.) und vom bayerischen Justizministerium angeregt(34) – akkreditierten Journalisten die Möglichkeit gegeben wird, sich von außen (passiv) aufzuschalten(35). Die einzusetzende technische Lösung sollte für den Spruchkörper zudem die Möglichkeit vorsehen, sich (virtuell) in ein separates Beratungszimmer zurückzuziehen (s.o. II.3.). Mit Blick auf das schriftliche Verfahren wäre zu überlegen, ob jedenfalls für kurze Zeit aufgrund der Pandemie auf das Zustimmungserfordernis zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren verzichtet werden kann. Ähnlich § 495a S. 2 ZPO könnte stattdessen die mündliche Verhandlung nur auf entsprechenden Antrag erforderlich sein.

Diese Maßnahmen, die mit einer Evaluationsklausel versehen werden könnten, werden zwar nicht die generellen Nachteile des persönlichen Eindrucks bei der Videoverhandlung beseitigen können, wohl aber die derzeitigen rechtlichen Hürden, um einem Infektionsrisiko der Beteiligten wirksam entgegen zu wirken.

V. Reaktionen im Ausland

Selbstverständlich gibt es bei einer weltweiten Pandemie entsprechende Auswirkungen auf die Justiz nicht nur in Deutschland. Von daher lohnt sich ein kurzer Blick auf den Stand im Ausland, soweit dieser hier bekannt ist.

1. Schweiz

In der Schweiz hat der Bundesrat am 16.4.2020 eine „Verordnung über Massnahmen in der Justiz und im Verfahrensrecht im Zusammenhang mit dem Coronavirus (COVID-19-Verordnung Justiz und Verfahrensrecht)“ erlassen (im Folgenden CH-COVID-VO)(36). Diese regelt in Art. 2 den Einsatz von Videokonferenzen. Die Verordnung sieht diese einerseits mit Zustimmung der Parteien, andererseits aber auch – bei Vorliegen wichtiger Gründe – ohne diese vor, insbesondere in dringlichen Fällen. Art. 2 Abs. 3 CH-COVID-VO erlaubt zudem den Ausschluss der Öffentlichkeit, mit Ausnahme akkreditierter Medienschaffender. Berechtigten Personen ist der Zugang auf Antrag zu gewähren. Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen sind gem. Art. 4 lit. b CH-COVID-VO aufzuzeichnen und zu den Akten zu nehmen.

In dringlichen Verfahren, bei denen die mündliche Verhandlung nicht mittels Video- oder Telefonkonferenz durchgeführt werden kann oder unzumutbar ist, kann auf die mündliche Verhandlung verzichtet und im schriftlichen Verfahren entschieden werden (Art. 5 CH-COVID-VO). Die Verordnung ist befristet bis 30.9.2020.

2. England

In England ist bereits am 20.3.2020 ein Protokoll für die Durchführung von „Remote Hearings“ veröffentlicht worden(37). Ziel des Leitfadens ist es, möglichst viele Verhandlungen als Konferenz durchzuführen. Soweit möglich sollten Verhandlungen weiter öffentlich bleiben, entweder durch das Zeigen des Videos in einem Sitzungssaal, in dem die Öffentlichkeit verweilt, Teilnahme von akkreditierten Journalisten an der Verhandlung oder ein Livestream über das Internet. Entsprechend der Prozessordnung muss eine (zumindest Audio-) Aufzeichnung hergestellt werden. Bei der Wahl der technischen Plattform lässt der Leitfaden viel Raum, explizit genannt werden Telefonkonferenz, Skype for Business, Gerichtsvideo, BT MeetMe und Zoom. Auch zur Vorbereitung durch Gericht und Parteien enthält der Leitfaden sinnvolle Anregungen.

In England wurde kürzlich zudem intensiv über ein Verfahren vor dem Court of Protection, einer Art Betreuungsgericht, berichtet, das die Verhandlung mittels Skype durchgeführt hatte(38). An der Verhandlung nahmen 17 Personen teil und es wurden zusätzlich 11 Zeugen vernommen. Zwei Journalisten verfolgten die Verhandlung.

3. USA

In den USA hat der US Supreme Court Verhandlungen im Wege der Telefonkonferenz für Mai 2020 angekündigt(39). Der Supreme Court des Bundesstaates Michigan wird ab dem 6.5.2020 mündliche Verhandlungen über die Cloud-Lösung des Dienstes Zoom führen(40).

4. Kenia

Auch in Kenia sind viele Verhandlungen aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt worden. Dringliche Fälle sollen nun in elektronischer Form durchgeführt werden können, was sowohl die elektronische Einreichung von Dokumenten als auch die Durchführung von Verhandlungen mittels Skype oder Zoom umfassen soll(41).

VI. Fazit

Zu Unrecht hat § 128a ZPO bislang ein Schattendasein im Werkzeugkasten des Zivilverfahrens geführt, doch die Corona-Pandemie dürfte der Vorschrift auf breiter Front zum Durchbruch verhelfen. Die praktischen Erfahrungen zeigen, dass die Videokonferenz zwar nicht in allen, aber in vielen Verfahren eine mündliche Verhandlung vollwertig ersetzen und damit helfen kann, die Infektionsgefahr spürbar zu senken. Ganz vermeiden lassen sich mündliche Verhandlungen mit dem Übergang ins schriftliche Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO, dem sich die Autoren im Folgebeitrag im nächsten Heft (MDR 12/2020) widmen werden.

Fußnoten

* Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Verfasser danken hiermit den Kolleginnen und Kollegen für ihre wertvollen Anregungen.

(1)Vgl. Greger, MDR 2020, 509 (511), der die mündliche Verhandlung als größtes Infektionsrisiko im Gerichtsbetrieb sieht.

(2)Mit gutem Beispiel geht hier etwa das LG Hannover voran, das bis zum 4.5.2020 alle Sitzungssäle auf den notwendigen technischen Stand bringen will, vgl. https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Corona-und-Rechtsprechung-Richter-allein-im-Saal,videoverhandlung100.html.

(3)Vgl. Stadler in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2020, ZPO § 128a Rz. 1; von Selle in BeckOK/ZPO, 36. Ed. 1.3.2020, ZPO § 128a Rz. 1; Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a ZPO Rz. 1.

(4)Vgl. Lorenz, MDR 2016, 956, 957.

(5)Vgl. von Selle in BeckOK/ZPO, 36. Ed. 1.3.2020, ZPO § 128a Rz. 1; Windau, ZPO-Überblick: Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung gem. § 128a ZPO, https://www.zpoblog.de/?p= 8285; so wohl auch Stadler in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2020, ZPO § 128a Rz. 3; a.A. Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a ZPO Rz. 2 mit Verweis auf die besonders wichtige Präsenz der Parteien in der Güteverhandlung.

(6)Gemäß § 185 Abs. 1a GVG gilt dies auch für Dolmetscher.

(7)Vgl. Greger, MDR 2020, 509 (513); Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a ZPO Rz. 6 ; Stadler in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2020, ZPO § 128a Rz. 2.

(8)Vgl. Greger, MDR 2020, 509 (513) m.w.N.; nach Stadler in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2020, ZPO § 128a Rz. 2 und Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a ZPO Rz. 6 soll allerdings bereits die akustische Übertragung für die Öffentlichkeit ausreichend sein.

(9)Vgl. Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a ZPO Rz. 4.

(10)Vgl. von Selle in BeckOK/ZPO, 36. Ed. 1.3.2020, ZPO § 128a Rz. 7, Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a ZPO Rz. 3.

(11)Vgl. Stadler in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2020, ZPO § 128a Rz. 4, 10.

(12)Vgl. Stadler in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2020, ZPO § 128a Rz. 5, Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a ZPO Rz. 7 ; von Selle in BeckOK/ZPO, 36. Ed. 1.3.2020, ZPO § 128a Rz. 10.

(13)Vgl. Fritsche in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl. 2016, ZPO § 128a Rz. 12, Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a ZPO Rz. 7 ; von Selle in BeckOK/ZPO, 36. Ed. 1.3.2020, ZPO § 128a Rz. 10; a.A. hingegen Stadler in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2020, ZPO § 128a Rz. 5, der wegen des Ausnahmecharakters von § 128a ZPO die Nennung der in Abs. 2 genannten Beweismittel für abschließend hält.

(14)Vgl. von Selle in BeckOK/ZPO, 36. Ed. 1.3.2020, ZPO § 128a Rz. 5; nach Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a ZPO Rz. 3 soll eine Verfügung des Vorsitzenden nicht genügen. Die Notwendigkeit der Beschlussfassung ergibt sich letztlich auch durch einen Umkehrschluss aus § 128a Abs. 3 S. 2 ZPO.

(15)Vgl. Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a ZPO Rz. 4 ; von Selle in BeckOK/ZPO, 36. Ed. 1.3.2020, ZPO § 128a Rz. 6; Stadler in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2020, ZPO § 128a Rz. 9.

(16)von Selle in BeckOK/ZPO, 36. Ed. 1.3.2020, ZPO § 128a Rz. 7.

(17)Vgl. Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a ZPO Rz. 4.

(18)Vgl. die Klassifikation des Kompendiums zu Videokonferenzsystemen vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, abrufbar unter https://www.bsi.bund.de/DE/Presse/Kurzmeldungen/Meldungen/KoViKo_140420.html.

(19)Eine Länderliste der Standorte der Videokonferenzanlagen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften findet sich auf dem Portal justiz.de, vgl. https://justiz.de/verzeichnis/zwi_videokonferenz/videokonferenzanlagen.pdf;jsessionid= 71E924684D7A44209482657D0AEA46EE. [Anmerkung der Redaktion: Mittlerweile abrufbar unter https://justiz.de/service/verzeichnisse/videokonferenzanlagen_gerichte_staatsanwaltschaften.pdf]

(20)So auch Bubrowski / Haneke, Richterspruch durch die Maske, FAZ.net, vgl. https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/justiz-und-corona-richterspruch-durch-die-maske-16740745.html.

(21)Vgl. Barczock, Zu offenes Bayern, c’t 8/2020, S. 31.

(22)Vgl. Windau, Ein Corona-Update für die Gerichte, https://www.zpoblog.de/?p= 8166.

(23)An einem brasilianischen Gericht soll ein Richter etwa zunächst unzureichend bekleidet an einem Erörterungstermin teilgenommen haben, vgl. https://www.lto.de/recht/kurioses/k/justiz-gerichtsverhandlung-online-videokonferenz-brasilien-richter-unbekleidet-oben-ohne/.

(24)Vgl. Heetkamp, Mündliche Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung gem. § 128a ZPO – ein Erfahrungsbericht, www.zpoblog.de/?p= 6961.

(25)So andeutungsweise auch von Selle in BeckOK/ZPO, 36. Ed. 1.3.2020, ZPO § 128a Rz. 11; Fritsche in MünchKomm/ZPO, 5. Aufl. 2016, § 128a Rz. 13 f.; Stadler in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2020, ZPO § 128a Rz. 6 f.

(26)Dazu eingehend Windau, ZPO-Überblick: Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung gem. § 128a ZPO, https://www.zpoblog.de/?p= 8285 m.w.N.

(27)Vgl. Windau, ZPO-Überblick: Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung gem. § 128a ZPO, https://www.zpoblog.de/?p= 8285.

(28)So auch Windau, ZPO-Überblick: Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung gem. § 128a ZPO, https://www.zpoblog.de/?p= 8285.

(29)Und auch mit § 128 Abs. 2 ZPO, s. dazu Teil 2 des Aufsatzes im nächsten Heft.

(30)RefE COVID-19 ArbGG/SGG-AnpassungsG v. 9.4.2020, abrufbar https://efarbeitsrecht.net/wp-content/uploads/2020/04/ArbGG-Anpassungsgesetz_9April.pdf; dazu eingehend Oltmanns / Fuhlrott, DB 2020, 841; Fuhlrott / Fischer, NZA 2020, 345; Windau, ArbG als „Online-Courts“?,https://efarbeitsrecht.net/neue-initiative-arbeitsgerichte-als-online-courts/.

(31)Vgl. hierzu BAG, Urt. v. 26.3.2015 – 2 AZR 417/14 , MDR 2015, 1376 = NZA 2015, 1083.

(32)Dazu Podolski, Die Öffentlichkeit bleibt, https://www.lto.de/persistent/a_id/41431/.

(33)Dazu eingehend auf der Heiden, NJW 2020, 1023 (1024) m.w.N.; Eschenhagen, Öffentlichkeit in Online-Gerichtsverhandlungen, https://verfassungsblog.de/oeffentlichkeit-in-online-gerichtsverhandlungen; vgl. auch Paschke, MMR 2019, 563; Windau, Öffentlichkeit i.S.d. § 169 GVG trotz Kontaktsperren?, www.zpoblog.de/?p= 8148.

(34)Https://bayrvr.de/wp-content/uploads/029-Anlage_Corona-Virus_Ma%C3 %9Fnahmen-der-bayerischen-Justiz_Fragen-und-Antworten_Stand-24.3.2020.pdf, S. 2.

(35)Zustimmend Eschenhagen, Öffentlichkeit in Online-Gerichtsverhandlungen, https://verfassungsblog.de/oeffentlichkeit-in-online-gerichtsverhandlungen; für die Möglichkeit, Verhandlungen generell über das Internet zugänglich zu machen Paschke, MMR 2019, 563; vgl. auch Oltmanns / Fuhlrott, DB 2020, 841 (844).

(36)Abrufbar unter https://www.ejpd.admin.ch/dam/data/bj/aktuell/news/2020/2020-04-16/vo-covid19-justiz-d.pdf.

(37)https://www.judiciary.uk/wp-content/uploads/2020/03/Civil-court-guidance-on-how-to-conduct-remote-hearings.pdf.

(38)Berichte zum Verfahren, auch zur Durchführung als Skype-Konferenz, s. Khalique / Roper, Skype in the Court of Protection: The courts in the time of coronavirus, 27.3.2020, https://www.localgovernmentlawyer.co.uk/adult-social-care/307-adult-care-features/43223-skype-in-the-court-of-protection-the-courts-in-the-time-of-coronavirus; Kitzinger, Remote justice: a family perspective, 29.3.2020, http://www.transparencyproject.org.uk/remote-justice-a-family-perspective.

(39)Weiss, SCOTUS will hear arguments by telephone conference in several cases because of COVID-19, 13.4.2020, https://www.abajournal.com/news/article/us-supreme-court-to-hear-arguments-by-telephone-conference-in-several-cases.

(40)WLNS.com, Michigan Supreme Court to hear arguments over Zoom sessions, https://www.wlns.com/news/michigan/michigan-supreme-court-to-hear-arguments-over-zoom-sessions.

(41)Wangui, Judiciary warms up to virtual court sessions, 4.4.2020, https://www.nation.co.ke/news/Judiciary-warms-up-to-virtual-court-sessions/1056-5513704-5o0dmb/index.html.

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