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Anmerkung zu:BFH 8. Senat, Urteil vom 28.09.2022 - VIII R 20/20
Autor:Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel, Vors. Ri’inBFH
Erscheinungsdatum:20.03.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 30 GmbHG, § 32d EStG, § 32a KStG 1977, § 8 KStG 1977, § 233a AO 1977, § 173 AO 1977, § 165 AO 1977, § 118 FGO, § 42 AO 1977, § 29 GmbHG, § 53 GmbHG, § 54 GmbHG, § 243 AktG, § 20 EStG
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 12/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Jachmann-Michel, jurisPR-SteuerR 12/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Steuerliche Behandlung eines punktuell satzungsdurchbrechenden inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlusses



Leitsätze

1. Ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, ist als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen (entgegen BMF-Schreiben vom 17.12.2013, BStBl I 2014, 63).
2. Ein Gesellschafter, an den nach einem solchen Beschluss kein Gewinn verteilt wird, verwirklicht den Tatbestand der Einkünfteerzielung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG nicht.
3. Ob eine inkongruente Vorabgewinnausschüttung nach § 42 AO gestaltungsmissbräuchlich ist, ist bei zivilrechtlich wirksamen punktuell satzungsdurchbrechenden Beschlüssen nach denselben Maßstäben zu beurteilen, die für satzungsgemäße inkongruente Ausschüttungen gelten.



A.
Problemstellung
Zu entscheiden war, ob ein Gewinnanteil zufließen kann, auch wenn nach einem satzungsdurchbrechenden Vorabgewinnausschüttungsbeschluss an den Gesellschafter kein Gewinn verteilt werden soll.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Der Kläger zu 1. wurde für die Streitjahre (2012 bis 2015) mit seiner Ehefrau, der Klägerin zu 2., zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Er war in den Streitjahren Geschäftsführer und zu 50% Gesellschafter der K GmbH. Weitere zu 50% beteiligte Gesellschafterin der K GmbH war die T GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer in den Streitjahren ebenfalls der Kläger war.
Nach dem Gesellschaftsvertrag der K GmbH hatten deren Gesellschafter über die Gewährung und die Entnahme von Vorschüssen auf die voraussichtlichen Jahresgewinnansprüche während eines laufenden Geschäftsjahres durch Beschluss mit einfacher Mehrheit zu entscheiden (§§ 12 Nr. 2 Buchst. i und 17 Nr. 3 des Gesellschaftsvertrags). Die Beschlüsse sollten nur rechtsgültig sein, sofern die Vorschüsse nicht zu einer Minderung des Stammkapitals führen konnten. Zahlungen an die Gesellschafter durften zudem die Regelungen zum Erhalt des Stammkapitals in § 30 GmbHG nicht verletzen. Der Jahresgewinn der Gesellschaft war auf der Grundlage einer festgestellten und geprüften Bilanz der K GmbH zu bestimmen. Über die Verwendung des Jahresgewinns hatten die Gesellschafter durch Gesellschafterbeschluss zu entscheiden. Das Recht eines Gesellschafters, einen Beschluss der Gesellschafterversammlung anzufechten, war verwirkt, wenn es sich um unverzichtbare Rechte handelte und der jeweilige Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung, in der der anzufechtende Beschluss gefasst worden war, anwesend oder rechtsgültig vertreten war, er dem Beschluss nicht ausdrücklich widersprochen hatte und er nicht innerhalb von zwei Monaten danach Klage auf Anfechtung oder Geltendmachung der Nichtigkeit des Beschlusses gegen die Gesellschaft erhob.
Der Gesellschaftsvertrag der K GmbH enthielt keine Regelung zur Gewinnverteilung. Er sah insbesondere weder vor, dass Entnahmen, Vorschüsse und der Jahresgewinn stets abweichend von den Beteiligungsverhältnissen zu verteilen waren, noch enthielt er eine Öffnungsklausel i.S.d. § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG, die eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Verteilung durch gesonderte Beschlussfassung im Einzelfall zuließ.
Die Gesellschafterversammlung der K GmbH fasste in den Streitjahren jeweils einstimmig Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse. Die Vorabausschüttungen wurden nach den Beschlüssen nur an die T GmbH verteilt und an diese ausgezahlt (2012: 1,4 Mio. Euro; 2013: 1,45 Mio. Euro; 2014: 2,55 Mio. Euro und 2015: 3,4 Mio. Euro).
In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre gab der Kläger keine Einkünfte aus Ausschüttungen der K GmbH an. In den zunächst ergangenen und bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre (2012: vom 08.05.2014; 2013: vom 12.02.2015; 2014: vom 20.01.2016; 2015: vom 16.05.2017) wurden erklärungsgemäß keine Gewinnanteile des Klägers aus der K GmbH gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG bei dessen Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt.
Während einer Außenprüfung bei der K GmbH gelangte der Prüfer zu der Auffassung, die Vorabausschüttungen der K GmbH an die T GmbH beruhten auf zivilrechtlich nichtigen Ausschüttungsbeschlüssen. Die ausgeschütteten Beträge seien dem Kläger entsprechend seiner Beteiligungsquote zur Hälfte zuzurechnen. Die Anschaffungskosten des Klägers für die Anteile an der T GmbH seien zu erhöhen, weil der Kläger die ihm zustehenden Ausschüttungsbeträge im Wege eines abgekürzten Zahlungswegs der T GmbH als Einlagen zugewendet habe. Seien die Vorabgewinnverteilungsbeschlüsse zivilrechtlich wirksam, seien die wiederholten Vorabgewinnausschüttungen nur an die T GmbH als Gestaltungsmissbrauch gemäß § 42 AO zu behandeln. In diesem Fall seien dem Kläger die hälftigen Ausschüttungsbeträge ebenfalls als Einkünfte aus Kapitalvermögen zuzurechnen.
Das Finanzamt (FA) schloss sich der Auffassung des Außenprüfers an. Es erließ entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre, jeweils vom 16.05.2018, in denen es aufgrund der Ausschüttungen der K GmbH zusätzliche Kapitalerträge des Klägers i.H.v. 700.000 Euro (2012), 725.000 Euro (2013), 1.275.000 Euro (2014) und 1.700.000 Euro (2015) erfasste und dem gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG unterwarf. Als Rechtsgrundlage für die Änderung zog das FA jeweils § 32a Abs. 1 KStG heran. Der Kläger habe veranlasst durch sein Gesellschaftsverhältnis zur K GmbH die ihm zustehenden Teile der Ausschüttungsbeträge der T GmbH zugewendet und hierdurch Einkünfte aus verdeckten Gewinnausschüttungen (vGA) gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erzielt. Dem stehe nicht entgegen, dass mangels eines Betriebsausgabenabzugs der abgeflossenen Ausschüttungsbeträge auf Ebene der K GmbH keine Einkommenserhöhung gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG durchzuführen sei.
Während des folgenden Klageverfahrens, das sich auch gegen Zinsfestsetzungen gemäß § 233a AO i.V.m. § 239 AO richtete, erging für das Streitjahr 2015 ein geänderter Einkommensteuerbescheid (vom 22.11.2018), der hier nicht streitige Sachverhalte zu den Einkünften der Kläger aus Vermietung und Verpachtung zum Gegenstand hatte. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2020, 1603 wiedergegebenen Begründung statt, soweit sie die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre betraf. Es hob die geänderten Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2012 bis 2014 v. 16.05.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung v. 27.09.2018 auf und änderte den Einkommensteuerbescheid 2015 v. 22.11.2018 mit der Maßgabe, dass dem Kläger aus den Ausschüttungen keine Einkünfte zuzurechnen seien. Die hiergegen gerichtete Revision des FA hatte keinen Erfolg. Der FH führte aus:
II. Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger aufgrund der inkongruenten Vorabausschüttungen weder Einkünfte aus offenen Gewinnausschüttungen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG noch Einkünfte aus vGA gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erzielt hat. Eine hälftige Zurechnung der Ausschüttungsbeträge an die T GmbH als Einkünfte des Klägers gemäß § 42 AO kommt ebenfalls nicht in Betracht.
1. Die geänderten Bescheide können grundsätzlich jeweils auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO als Änderungsvorschrift gestützt werden. Dem FA sind die inkongruenten Ausschüttungen erst durch die Außenprüfung und damit nachträglich bekannt geworden. Für das Streitjahr 2015 kann das FA die weitere Änderung der Einkommensteuerfestsetzung im Klageverfahren, die nur die Vermietungseinkünfte der Kläger und damit einen anderen Streitpunkt betraf, auf § 165 Abs. 2 AO stützen.
2. Der Kläger hat aufgrund der Vorabgewinnausschüttungen keine Einkünfte aus Gewinnanteilen (Dividenden) gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG erzielt. Die inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse, in denen an ihn keine Ausschüttungsbeträge verteilt wurden, sind zivilrechtlich wirksam (vgl. unter II.2.a und b). Der Kläger hat den Einkünfteerzielungstatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG jeweils nicht verwirklicht.
Die in den Streitjahren gefassten Beschlüsse über die inkongruenten Vorabgewinnausschüttungen widersprechen zwar der Satzung der K GmbH. Sie sind aber nicht nichtig, sondern als punktuell satzungsdurchbrechende Ausschüttungsbeschlüsse mangels Anfechtbarkeit zivilrechtlich wirksam und bindend.
a) Die Würdigung des FG, dass die von den Gesellschaftern der K GmbH gefassten Beschlüsse über die inkongruenten Vorabgewinnausschüttungen jeweils nur punktuell satzungsdurchbrechend sind, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und für den Senat daher bindend (§ 118 Abs. 2 FGO). Das FG stellt bei seiner Würdigung maßgeblich darauf ab, dass jeder Beschlussfassung über eine Vorabausschüttung ein neuer Willensentschluss der Gesellschafter der K GmbH zugrunde lag und diese keine neue Satzungsregelung zu einer generell von den Beteiligungsverhältnissen abweichenden Gewinnverteilung treffen wollten. Die Wirkung des jeweiligen Beschlusses habe sich im Abfluss der Ausschüttung an die T GmbH erschöpft. Diese Würdigung des FG ist möglich, nachvollziehbar und plausibel. Auch der Schutz des Rechtsverkehrs verlangt – wie vom FG zu Recht entschieden – keine Einordnung der Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse als nichtige satzungsdurchbrechende Beschlüsse mit Dauerwirkung (dazu sub C.II.-IV.).
So haben Abweichungen von der Satzung, wenn sie Dauerwirkung entfalten, nicht nur gesellschaftsinterne Bedeutung, sondern berühren auch den Rechtsverkehr (Gläubiger, Geschäftspartner und etwaige später eintretende Gesellschafter). Da die gesamte Satzungsurkunde zum Handelsregister einzureichen ist, ist die Eintragung satzungsdurchbrechender Beschlüsse, die einen von der Satzung abweichenden Zustand begründen, geboten, denn die beim Register vorhandene Satzung gibt in einem solchen Fall entgegen dem mit der Registerpublizität verfolgten Zweck den materiellen Satzungsinhalt nicht mehr richtig und vollständig wieder. Der Schutz des Rechtsverkehrs ist maßgebliches Wertungskriterium für die Differenzierung zwischen nichtigen satzungsdurchbrechenden Beschlüssen mit Dauerwirkung und anfechtbaren satzungsdurchbrechenden Beschlüssen mit punktueller Wirkung.
Eine Vorabausschüttung ist eine gesellschaftsrechtlich zulässige vorweggenommene Gewinnauszahlung (Gewinnvorschuss), die u.a. als unterjährige (wie im Streitfall) oder nachperiodische Ausschüttung (vor Feststellung des Jahresabschlusses) erfolgen kann und an den Vorbehalt geknüpft ist, dass nach Ablauf des Wirtschaftsjahres tatsächlich ein entsprechend hoher ausschüttungsfähiger Gewinn vorhanden ist. Vorabgewinnausschüttungen einer GmbH stehen nach ganz herrschender Meinung nicht unter einem Satzungsvorbehalt. Da Vorabausschüttungen auch ohne eine Satzungsgrundlage unter bestimmten weiteren Voraussetzungen zulässig sind, muss der potenzielle Erwerber eines Geschäftsanteils stets damit rechnen, dass es bei der Gesellschaft, an der er Anteile erwerben will, solche Ausschüttungen gegeben hat. Es liegt in seinem Interesse und der gebotenen Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, sich über frühere Vorabgewinnausschüttungen und deren Verteilung zu informieren, um abschätzen zu können, ob es ggf. nicht durchsetzbare Rückforderungsansprüche der Gesellschaft gegen die Ausschüttungsempfänger geben könnte. Im Streitfall war für jeden potenziellen Anteilserwerber überdies aus den §§ 12 Nr. 2 Buchst. i und 17 Nr. 3 des Gesellschaftsvertrags der K GmbH ersichtlich, dass die Gesellschafter Vorabgewinnausschüttungen beschließen konnten.
Der Einordnung inkongruenter Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse als nichtige satzungsdurchbrechende Beschlüsse mit Dauerwirkung bedarf es zum Schutz potenzieller Anteilserwerber danach nicht. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass in den Streitjahren inkongruente Vorabgewinnausschüttungen wiederholt beschlossen und vollzogen wurden. Ein nennenswertes Interesse des Rechtsverkehrs an einer Offenlegung der inkongruenten Vorabausschüttungen im Register – und der Annahme der Nichtigkeit der Beschlüsse, falls dies nicht geschieht – sieht der Senat auch unter diesem Gesichtspunkt nicht. Das Handelsregister dient nicht dazu, über die gesellschaftsinterne Willensbildung der Gesellschafter bei früheren Vorabgewinnausschüttungen zu unterrichten. Auch insoweit ist ein potenzieller Anteilserwerber gehalten, sich über die Häufigkeit und Verteilung früherer Vorabgewinnausschüttungen bei der K GmbH selbst zu informieren.
b) Die einstimmig gefassten, jeweils nur punktuell satzungsdurchbrechenden inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse der Streitjahre sind im Ergebnis zivilrechtlich wirksam und bindend. Ob die Beschlüsse für ihre Wirksamkeit notariell zu beurkunden gewesen wären, aber nicht in das Handelsregister hätten eingetragen werden müssen, oder ob für die Wirksamkeit der Beschlüsse die notarielle Beurkundung und Eintragung – neben der erforderlichen Beschlussmehrheit und Zustimmung der betroffenen Gesellschafter – entbehrlich waren, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Unabhängig davon, welche formellen Anforderungen an die Wirksamkeit eines solchen Beschlusses gestellt werden, ist ein punktuell satzungsdurchbrechender inkongruenter Ausschüttungsbeschluss stets nur analog § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar. Haben aber – wie hier – sämtliche Gesellschafter der inkongruenten Gewinnverteilung zugestimmt, kann der Beschluss von keinem der Gesellschafter angefochten werden, denn die Zustimmung aller Gesellschafter führt für jeden Gesellschafter zum Verlust der Anfechtungsberechtigung. Die einstimmigen und nicht anfechtbaren Beschlüsse über die inkongruenten Vorabgewinnausschüttungen der Streitjahre sind damit jeweils zivilrechtlich wirksam und bindend.
c) Da die Vorabgewinnausschüttungen im Streitjahr auf zivilrechtlich wirksamen Gesellschafterbeschlüssen beruhen, handelt es sich jeweils um eine offene Ausschüttung von Gewinnanteilen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG. Der Kläger hat jedoch keinen Gewinnanteil zu versteuern, denn er hat den Einkünfteerzielungstatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG jeweils nicht verwirklicht, da zivilrechtlich wirksam beschlossen wurde, an ihn keinen Gewinn auszuschütten. Offen ausgeschüttete Gewinne sind stets – nur – bei demjenigen Anteilseigner der Besteuerung zu unterwerfen, dem sie in dieser Eigenschaft als Anteilseigner zufließen.
d) Der Senat sieht auch keine Veranlassung, dem Kläger auf der Grundlage der vom BMF geforderten Fremdüblichkeitsprüfung aus den inkongruenten Vorabausschüttungen an die T GmbH Einkünfte gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG zuzurechnen. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verlangt für die Einkünfteerzielung tatbestandlich nur den Bezug von Gewinnanteilen durch den Gesellschafter (hier: nur bei der T GmbH), enthält aber keinen Vorbehalt, dass der Bezug fremdüblich oder angemessen sein muss. Eine allgemeine steuerliche Angemessenheitskontrolle zivilrechtlich wirksam beschlossener inkongruenter Gewinnausschüttungen ist ebenfalls abzulehnen (anderer Ansicht BMF-Schreiben vom 17.12.2013 - IV C 2 S 2750 a/11/10001 - BStBl I 2014, 63).
III. Entgegen der Auffassung des FA und des BMF hat der Kläger auch keine Einkünfte aus vGA gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erzielt. Die inkongruenten Vorabausschüttungen an die vom Kläger beherrschte T GmbH wurden zivilrechtlich wirksam beschlossen. Es handelt sich um offene Ausschüttungen, die auf dem Gesellschaftsverhältnis der T GmbH zur K GmbH und nicht auf dem Gesellschaftsverhältnis des Klägers zur K GmbH beruhen. Dies schließt die Beurteilung der Ausschüttungen als vGA der K GmbH an den Kläger aus.
IV. Das FG hat ferner zu Recht entschieden, dass die Vorabausschüttungen nur an die T GmbH keinen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO darstellen und nicht zu einer Zurechnung der hälftigen Ausschüttungsbeträge als Einkünfte beim Kläger führen können.
1. Das FG zieht für die Prüfung eines Gestaltungsmissbrauchs gemäß § 42 AO im Streitfall, der zivilrechtlich wirksame punktuell satzungsdurchbrechende inkongruente Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse zum Gegenstand hat, zu Recht dieselben Kriterien wie in Fallgestaltungen heran, in denen inkongruente Ausschüttungen aufgrund einer abweichenden Gewinnverteilungsregel oder Öffnungsklausel satzungsgemäß zivilrechtlich wirksam beschlossen werden. Es ist kein Grund ersichtlich, zwischen diesen jeweils zivilrechtlich wirksamen Ausschüttungsbeschlüssen im Rahmen des § 42 AO zu unterscheiden (zustimmend Lauer/Weustenfeld, DB 2022, 985, 992).
2. Das FG hat das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs nach diesem zutreffenden Maßstab mit nicht zu beanstandenden Erwägungen verneint. Inkongruente Gewinnverteilungen sind steuerrechtlich grundsätzlich anzuerkennen, wenn sie auf einem zivilrechtlich wirksam zustande gekommenen Ausschüttungsbeschluss beruhen. Nahezu jede Gewinnausschüttung, die verdeckt erfolgt, stellt zugleich eine inkongruente Ausschüttung an den empfangenden Gesellschafter dar und wird der Besteuerung zugrunde gelegt. Es gibt keinen Grund, offene inkongruente Gewinnausschüttungen, die mit dem Gesellschaftsrecht im Einklang stehen, hiervon steuerlich abweichend zu behandeln.
Ferner ist bei der Prüfung des Eintritts eines steuerlichen Vorteils i.S.d. § 42 Abs. 2 Satz 1 AO nur auf den Steueranspruch aus dem konkreten Steuerschuldverhältnis abzustellen, d.h. hier auf die einkommensteuerlichen Steueransprüche für die Streitjahre. Die Würdigung des FG, durch die Verlagerung des Ausschüttungspotenzials auf die T GmbH sei dem Kläger kein steuerlicher Vorteil entstanden, weil er davon ausgehen musste, bei einer späteren Ausschüttung der T GmbH an ihn denselben Besteuerungsregeln zu unterliegen und eine einkommensteuerliche Besteuerung infolgedessen nur einstweilen aufgeschoben zu haben, ist nicht zu beanstanden. Ebenso zutreffend hat das FG es abgelehnt, schenkungssteuerliche Gestaltungsmöglichkeiten des Klägers in die Betrachtung einzubeziehen, da es insoweit um (vermeintliche) steuerliche Vorteile des Klägers außerhalb der hier zu beurteilenden Einkommensteueransprüche geht. Ob die Ausschüttungen an die T GmbH der Verminderung der Haftungsmasse der K GmbH dienten und darin ein beachtlicher außersteuerlicher Grund (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AO) liegen könnte, bedarf in Ermangelung eines steuerlichen Vorteils des Klägers keiner weiteren Prüfung.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse, die nicht nichtig sind oder nicht aufgrund einer Anfechtung für nichtig erklärt werden oder von keinem der Gesellschafter angefochten werden können, sind wirksame Gewinnverwendungs- und Gewinnverteilungsbeschlüsse. Die hierauf beruhenden Ausschüttungen sind Gewinnausschüttungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG.
II. Enthält ein Gesellschaftsvertrag – wie im Besprechungsfall – keine gesonderte Regelung zur Gewinnverteilung und keine Öffnungsklausel i.S.d. § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG, sind die Gewinne entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile zu verteilen. Wenn die Gesellschafterversammlung durch Beschluss von der subsidiären gesetzlichen Regelung in § 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG abweicht, die in der Satzung nicht aufgenommen, in ihr aber auch nicht im Rahmen einer Öffnungsklausel gemäß § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG abbedungen wird, liegt ein satzungsdurchbrechender Ausschüttungsbeschluss vor. Die gesetzliche Regelung in § 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG ist dann ein materieller, wenngleich kein formeller Satzungsbestandteil.
III. Satzungsdurchbrechende Gesellschafterbeschlüsse, die einen vom Regelungsinhalt der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand mit Dauerwirkung (und sei es auch nur für einen begrenzten Zeitraum) begründen, sind (selbst im Fall eines einstimmig gefassten Beschlusses) nichtig, wenn bei der Beschlussfassung nicht alle materiellen und formellen Bestimmungen einer Satzungsänderung (insbesondere die notarielle Beurkundung und Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister gemäß den §§ 53 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1, 54 Abs. 1 GmbHG) eingehalten werden.
Von satzungsdurchbrechenden Beschlüssen mit Dauerwirkung sind punktuell satzungsdurchbrechende Beschlüsse zu unterscheiden, deren Wirkung sich in der betreffenden Maßnahme als Einzelakt erschöpft, so dass die Satzung durch den Beschluss zwar verletzt wird, aber nicht mit Wirkung für die Zukunft geändert werden soll; solche punktuell wirkenden Beschlüsse sind nicht nichtig, aber bei der GmbH entsprechend § 243 Abs. 1 des Aktiengesetzes (AktG) anfechtbar.
IV. Ob ein satzungsdurchbrechender Beschluss eine von der Satzung abweichende Regelungslage mit (ggf. vorübergehender) Dauerwirkung begründet oder sich als punktueller Satzungsverstoß in einer einzelnen Maßnahme erschöpft, betrifft eine im Einzelfall durch das FG auf der Grundlage der in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Wertungen zu entscheidende Tatsachenfrage.
V. Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen als sonstige Bezüge aus Anteilen an einer GmbH auch vGA. Eine vGA im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung einen Vorteil zuwendet und diese Zuwendung ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis hat. Sie kann auch ohne tatsächlichen Zufluss beim Gesellschafter verwirklicht werden, wenn der Vorteil ihm durch das Gesellschaftsverhältnis mittelbar in der Weise zugewendet wird, dass eine ihm nahestehende Person aus der Vermögensverlagerung Nutzen zieht. Das „Nahestehen“ kann familienrechtlicher, gesellschaftsrechtlicher, schuldrechtlicher oder auch rein tatsächlicher Art sein. Neben dem Vorliegen eines „Näheverhältnisses“ zwischen Gesellschafter und Vorteilsempfänger setzt eine vGA ohne tatsächlichen Zufluss beim Gesellschafter voraus, dass die Vorteilszuwendung ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis der vorteilsgewährenden Gesellschaft zum Gesellschafter hat. Unerheblich ist, ob der Gesellschafter selbst ein vermögenswertes Interesse an der Zuwendung hat.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Inkongruente Gewinnverteilungen sind steuerrechtlich grundsätzlich anzuerkennen, wenn sie auf einem zivilrechtlich wirksam zustande gekommenen Ausschüttungsbeschluss beruhen.
Ob ein satzungsdurchbrechender Beschluss eine von der Satzung abweichende Regelungslage mit (ggf. vorübergehender) Dauerwirkung begründet oder sich als punktueller Satzungsverstoß in einer einzelnen Maßnahme erschöpft, betrifft eine im Einzelfall durch das FG auf der Grundlage der in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Wertungen zu entscheidende Tatsachenfrage.
Ein Gesellschafter, an den nach einem wirksamen punktuell satzungsdurchbrechenden Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung kein Gewinn verteilt wird, verwirklicht den Tatbestand der Einkünfteerzielung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG nicht. Die Frage des Zuflusses stellt sich damit nicht.



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