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Anmerkung zu:BVerwG 7. Senat, Urteil vom 09.11.2022 - 7 C 1/22
Autor:Dr. Franz Schemmer, RiBVerwG
Erscheinungsdatum:13.03.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 43 VwGO, § 72a AMG 1976, § 64 AMG 1976, § 143 SeeArbG, § 16 TierSchG, § 72 TAMG, § 52 BImSchG, § 3 BImSchG, EURL 75/2010
Fundstelle:jurisPR-BVerwG 5/2023 Anm. 1
Herausgeber:Verein der Bundesrichter bei dem Bundesverwaltungsgericht e.V.
Zitiervorschlag:Schemmer, jurisPR-BVerwG 5/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Unangekündigte Kontrolle einer Abfallanlage und Befugnis, bei der Kontrolle zu fotografieren



Leitsätze

1. Die nach § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG bestehende Verpflichtung des Betreibers einer Anlage, den Zutritt zu Grundstücken und die Vornahme von Prüfungen durch Angehörige der zuständigen Behörde zu dulden, setzt keine Ankündigung voraus. Unangekündigte Kontrollen sind regelmäßig auch verhältnismäßig.
2. § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG umfasst in der Regel die Befugnis, bei der Kontrolle von Anlagen zu fotografieren.



A.
Problemstellung
Müssen Kontrollen einer Anlage i.S.d. § 3 Abs. 5 BImSchG angekündigt werden und dürfen die Kontrolleure die Anlage fotografieren? Die rechtliche Beurteilung solcher alltäglich anmutenden ordnungsbehördlichen Maßnahmen war Gegenstand eines Revisionsverfahrens vor dem BVerwG. Dabei darf sich die Entscheidungsfindung nicht ohne normative Anknüpfung davon leiten lassen, dass die Wirksamkeit einer Kontrolle bei einer unangekündigten Prüfung größer sein kann. Auch kann das Fotografieren des Geländes nicht stets als rechtliche Belanglosigkeit abgetan werden. In beiden Fällen handelt es sich um belastende Maßnahmen, die einer normativen Rechtfertigung bedürfen. Diese war vorliegend aber gegeben.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin begehrte die Feststellung, dass das unangekündigte Betreten ihres Anlagengrundstücks, eines Sonderabfall-Zwischenlagers, durch Mitarbeiter der Bezirksregierung Düsseldorf sowie das Fotografieren während der Begehung der Anlage rechtswidrig gewesen sind. Im Juli 2018 suchten zwei Mitarbeiter der Bezirksregierung Düsseldorf das Anlagengrundstück der Klägerin ohne vorherige Ankündigung auf. Auf eine vorherige Ankündigung war verzichtet worden, da nach einem ministeriellen Erlass auch unangekündigte Überwachungen durchgeführt werden sollten. Während der Inspektion wurden Fotografien gefertigt. Die Klage vor dem VG hatte Erfolg. Auf die Berufung der Klägerin wies das OVG die Klage ab. Die Entscheidung der Überwachungsbehörde, eine im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen regelmäßigen Anlagenüberwachung durchgeführte Kontrolle nicht vorher anzukündigen, sei vom BImSchG gedeckt und im Regelfall – wie auch hier – verhältnismäßig. Aus dem Gesetz ergebe sich auch die Befugnis, bei der Vor-Ort-Besichtigung zu fotografieren. Das BVerwG hat die Revision gegen das Urteil des OVG zurückgewiesen. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG sind Betreiber von Anlagen verpflichtet, den Angehörigen der zuständigen Behörde den Zutritt zu Grundstücken und die Vornahme von Prüfungen zu gestatten. Die auf dieser Grundlage bestehende Duldungspflicht setzt tatbestandlich keine Ankündigung voraus. Unangekündigte Vor-Ort-Kontrollen sind regelmäßig auch verhältnismäßig. Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass mit einer unangekündigten Besichtigung die größtmögliche Effektivität einer Überwachungsmaßnahme zu erreichen ist. Im Einzelfall anzuerkennende überwiegende schutzwürdige Interessen des Anlagenbetreibers waren nicht ersichtlich. Auch das Anfertigen von Fotos bei Vor-Ort-Besichtigungen ist regelmäßig nicht zu beanstanden. Das Fotografieren hat keine grundlegend andere Qualität als das Fertigen handschriftlicher Notizen oder Skizzen.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Offengelassen hatte das BVerwG, ob die Klage als allgemeine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO oder entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft war. Das Berufungsgericht hatte das Zutrittsverlangen und die Inanspruchnahme des Rechts, auf dem Gelände Fotografien anzufertigen, nicht als Verwaltungsakt beurteilt. Die Fortsetzungsfeststellungsklage wäre einschlägig, wenn das Zutrittsverlangen zu der Anlage der Klägerin als mündlich oder konkludent erlassener Verwaltungsakt zu qualifizieren wäre, der eine bestehende gesetzliche Verpflichtung für den Einzelfall konkretisiert (etwa Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 52 Rn. 60; Schwertner in: BeckOK UmweltR, § 52 BImSchG Rn. 33; Spindler in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Stand 97. Erg.-Lfg. März 2001, § 52 BImSchG Rn. 124). Diese Frage von grundsätzlicher Bedeutung musste der Senat indes nicht entscheiden.
II. Nach der Befugnisnorm des § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG sind Eigentümer und Betreiber von Anlagen sowie Eigentümer und Besitzer von Grundstücken, auf denen Anlagen betrieben werden, verpflichtet, den Angehörigen der zuständigen Behörde und deren Beauftragten den Zutritt zu den Grundstücken und die Vornahme von Prüfungen einschließlich der Ermittlung von Emissionen und Immissionen zu gestatten. Der Senat hat aus dieser Vorschrift, ein behördliches Zutritts- und Prüfungsrecht, dem auf Seiten der Eigentümer und Betreiber von Anlagen eine entsprechende Duldungspflicht gegenübersteht, abgeleitet (vgl. BT-Drs. 7/179, S. 47). Es widerspräche dem auf eine effektive Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe zielenden Sinn und Zweck der Regelung, wenn die behördliche Überwachungstätigkeit auf dem Betriebsgrundstück von einer Einwilligung des Betroffenen abhinge. Im Weigerungsfall könnte eine Einwilligung, die eine unvertretbare Handlung darstellt, nicht im Wege der Ersatzvornahme, sondern grundsätzlich nur mittels Zwangsgeldes durchgesetzt werden. Auch die mit der Festsetzung und Einziehung von Zwangsgeldern verbundenen zeitlichen Verzögerungen könnten den Zweck der Überwachungsmaßnahmen nach § 52 Abs. 2 BImSchG, zur Sicherstellung der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften ein möglichst realistisches Bild von Anlage und Betriebsgrundstück zu gewinnen, vereiteln.
III. Die Inanspruchnahme des Zutritts- und Prüfungsrechts nach § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG setzt nach seinem Wortlaut keine vorherige Ankündigung voraus. Von einem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal ist die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 7/179, S. 47) nicht ausgegangen. Ebenso verlangt die systematische Auslegung dies nicht. Vorschriften in anderen Rechtsbereichen sind nicht ergiebig. § 72a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AMG veranschaulicht, dass der arzneimittelrechtliche Gesetzgeber unangekündigte Inspektionen als im Rahmen regelmäßiger Überwachung von Herstellungsstätten unabdingbar ansieht. Die für das Betretungsrecht der mit der Überwachung beauftragten Personen maßgebliche Befugnisnorm des § 64 Abs. 4 Nr. 1 AMG enthält nicht anders als § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG keine Regelung zur Frage der vorherigen Ankündigung. Entsprechendes gilt für die tierschutzrechtliche Bestimmung des § 16 Abs. 1 Satz 7 TierSchG, wonach ein angemessener Teil der Kontrollen bestimmter Einrichtungen unangekündigt erfolgt. Auch § 16 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 TierSchG, der den beauftragten Personen eine Betretungsbefugnis verleiht, regelt die Frage der vorherigen Ankündigung nicht.
§ 143 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SeeArbG führt ebenfalls auf keine tatbestandserweiternde Auslegung des § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG. Die vom Fachgesetzgeber ausdrücklich verliehene Befugnis, unangekündigt an Bord eines Schiffes zu gehen, lässt keine Rückschlüsse auf den Tatbestand des § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG zu. Eine einheitliche gesetzgeberische Praxis, Normen in verschiedenen Rechtsgebieten gleichermaßen einheitlich zu gestalten, ist nicht erkennbar. Auch Art. 23 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2010/75/EU, deren Anwendungsbereich das Sonderabfall-Zwischenlager der Klägerin unterfällt, verlangt nur, dass die Betreiber den zuständigen Behörden jede notwendige Unterstützung dabei gewähren, etwaige Vor-Ort-Besichtigungen und Probenahmen durchzuführen und die zur Erfüllung ihrer Pflichten im Rahmen dieser Richtlinie erforderlichen Informationen zu sammeln. Diese Bestimmung schließt es nicht aus, dass die zuständigen nationalen Behörden sowohl angekündigte als auch unangekündigte Umweltinspektionstermine durchführen.
IV. Die Wahrnehmung des Zutrittsrechts aus § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG ohne vorherige Ankündigung verstößt regelmäßig weder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, noch ist sie mit sonstigen grundrechtlichen Positionen unvereinbar. Bei der behördlichen Vor-Ort-Besichtigung ist es unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Überwachung von maßgeblicher Bedeutung, dass die Überwachungsbehörde eine Situation vorfindet, die den Anlagenzustand und die Betriebsverhältnisse möglichst realitätsnah abbilden. Hierfür sind unangekündigte Kontrollen nicht nur geeignet, sondern eine wesentliche Voraussetzung. Angekündigte Kontrollen stellen sich demgegenüber nicht als in gleicher Weise wirksam dar wie unangekündigte Kontrollen. Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass mit einer unangekündigten Besichtigung die größtmögliche Effektivität einer Überwachungsmaßnahme zu erreichen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.01.1998 - 1 B 5/98 - Buchholz 451.41 § 22 GastG Nr 1 S. 2 f.; VGH Mannheim, Beschl. v. 27.01.2004 - 9 S 1343/03 - NVwZ-RR 2004, 416, 417 m.w.N.; a.A. Dederer in: Kotulla, BImSchG, Stand 9/2019, § 52 Rn. 128; Jarass, BImSchG, 14. Aufl. 2022, § 52 Rn. 46; Kenyeressy in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 52 Rn. 58; Spindler in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, 2. Aufl. § 52 BImSchG Rn. 34). Unangekündigte Kontrollen sind zudem regelmäßig keine unzumutbare Belastung der Eigentümer und Betreiber (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.04.2022 - 3 C 8/21 Rn. 17 - NVwZ-RR 2022, 670). Eine übermäßige, durch den Kontrollzweck nicht gerechtfertigte Störung der Betriebsabläufe muss aber regelmäßig durch die konkrete Gestaltung der Kontrolle vermieden werden. Die Kontrolleure müssen damit rechnen, dass eine unangekündigte Kontrolle mit anderen, sachlich gerechtfertigten und nicht bloß vorgeschobenen Terminen der verantwortlichen Person kollidiert (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.04.2022 - 3 C 8/21 Rn. 18 - NVwZ-RR 2022, 670). Nach der Rechtsprechung des BVerfG unterliegen schließlich Betretungs- und Besichtigungsrechte für Geschäfts- und Betriebsräume aufgrund besonderer gesetzlicher Ermächtigung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie dienen berechtigten Interessen der Verwaltung und belasten den Betriebsinhaber nicht in unzumutbarer Weise (BVerfG, Beschl. v. 13.10.1971 - 1 BvR 280/66 - BVerfGE 32, 54, 76 f.).
V. Die Fertigung von Fotografien auf dem Anlagengelände kann ebenfalls auf § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG gestützt werden. Das Merkmal der Prüfung in dieser Norm ist weit auszulegen und umfasst jede sonstige Untersuchung, soweit sie zur Erfüllung der Aufgaben nach § 52 Abs. 1 Satz 1 BImSchG notwendig ist (vgl. Jarass, BImSchG, 14. Aufl. 2022, § 52 Rn. 44 m.w.N.; Kenyeressy in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 52 Rn. 61; Lechelt in: Führ, GK-BImSchG, Stand 2019, § 52 Rn. 50 m.w.N.). Auch der Begriff des Zutritts bedarf nach seinem Sinn und Zweck einer weiten Auslegung. Insbesondere umfasst das Betretungsrecht die Möglichkeit der Wahrnehmung von Sachverhalten i.S.d. Augenscheinseinnahme bzw. eines informativen Betretens (vgl. Lechelt in: Führ, GK-BImSchG, Stand 2019, § 52 Rn. 45). In diesem Sinne spricht das BVerwG auch von einer allgemeinen Betretungs- und Besichtigungsbefugnis (BVerwG, Urt. v. 25.08.1999 - 8 C 12/98 - BVerwGE 109, 272, 283). Hiernach ist auch das Fotografieren vom Tatbestand des § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG umfasst; dies gilt für den Akt des Fotografierens selbst, aber auch für die mit der Speicherung gefertigter Aufnahmen verbundene Dokumentation von Wahrnehmungen und Untersuchungen. Insofern hat das Fotografieren keine rechtserheblich andere Qualität als etwa das Anfertigen handschriftlicher Notizen oder Skizzen, ein Diktat oder die sonstige Dokumentation von Messergebnissen (vgl. Kenyeressy in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 52 Rn. 62). Soweit Normen wie § 64 Abs. 4 Nr. 1 AMG, § 16 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 TierSchG, § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 TAMG und § 42 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 LFGB das Anfertigen von Bildaufnahmen anlässlich von Inspektionen ausdrücklich regeln, folgt hieraus nicht im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber eine diesbezügliche Befugnis vom Regelungsumfang des § 52 Abs. 2 Satz 1 BImSchG ausnehmen wollte. Auch insoweit besteht keine einheitliche gesetzgeberische Praxis hinsichtlich des Detaillierungsgrades von Normen. Fragen nach rechtlichen Grenzen für Fotoaufnahmen – etwa mit Rücksicht auf den Schutz personenbezogener Daten oder die Vertraulichkeit von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen - stellten sich vorliegend nicht, können in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls aber von Bedeutung sein.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Für die Maßnahmen des Zutritts zu einer Anlage i.S.d. § 3 Abs. 5 BImSchG und des Fotografierens gibt es eine taugliche Rechtsgrundlage, die nach Maßgabe des BVerwG-Urteils in der Praxis eine angemessene Behandlung von Kontrollen der Ordnungsbehörden gewährleisten kann. Besondere Umstände des Einzelfalls sind berücksichtigungsfähig.



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