juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 12. Zivilsenat, Urteil vom 11.01.2023 - XII ZR 101/21
Autor:Prof. Dr. Reinhold Thode, RiBGH a.D.
Erscheinungsdatum:17.03.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 287 ZPO, § 308 BGB, § 309 BGB, § 275 BGB, § 326 BGB, § 543 BGB, § 2020-04-0 BGBEG §, § 536 BGB, § 313 BGB
Fundstelle:jurisPR-BGHZivilR 6/2023 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Herbert Geisler, RA BGH
Zitiervorschlag:Thode, jurisPR-BGHZivilR 6/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Auswirkungen hoheitlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie auf die Anmietung von Räumen zur Durchführung einer Hochzeitsfeier



Leitsätze

1. Kann eine Hochzeitsfeier aufgrund der zu diesem Zeitpunkt zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geltenden Maßnahmen nicht wie geplant durchgeführt werden, wird dem Vermieter der hierfür gemieteten Räumlichkeiten die von ihm geschuldete Leistung nicht unmöglich (im Anschluss an Senatsurt. v. 02.03.2022 - XII ZR 36/21 - NJW 2022, 1382).
2. Der Umstand, dass die Durchführung einer Hochzeitsfeier mit der geplanten Bewirtung von bis zu 120 Personen aufgrund verschiedener Regelungen in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Corona-Schutzverordnung nicht zulässig war, führt nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB.
3. Für einen Mieter, der Räume zur Durchführung einer Veranstaltung gemietet hat, kommt grundsätzlich ein Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn die Veranstaltung aufgrund von hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht in der geplanten Form stattfinden kann (im Anschluss an Senatsurt. v. 02.03.2022 - XII ZR 36/21 - NJW 2022, 1382).
4. Nur wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist, kann nach § 313 Abs. 3 BGB der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten oder bei Dauerschuldverhältnissen den Vertrag kündigen. Dafür genügt es nicht, dass ein weiteres Festhalten am Vereinbarten nur für eine Partei unzumutbar erscheint; vielmehr muss das Abgehen vom Vereinbarten der anderen Partei auch zumutbar sein.



A.
Problemstellung
Der BGH hatte über die Verteilung der Risiken zwischen Vermieter und Mieter in folgender Sachverhaltskonstellation zu entscheiden: Der Mieter, der Räume für die Durchführung einer Hochzeitsfeier mit der geplanten Bewirtung von bis zu 120 Personen angemietet hatte, hat die Veranstaltung abgesagt, weil sie aufgrund der Niedersächsischen Corona-Verordnung, nach der die zulässige Teilnehmerzahl auf 50 Personen begrenzt war, nicht in der geplanten Weise durchgeführt werden konnte. Da der Vermieter u.a. von dem Beklagten die vereinbarte Miete verlangte, musste der BGH darüber entscheiden, ob dem Vermieter die geschuldete Leistung unmöglich geworden war, ob die Mietsache infolge der hoheitlichen Maßnahme einen Mangel aufwies, ob dem Mieter ein Anspruch auf Vertragsanpassung auf Grund einer Störung der Geschäftsgrundlage zustehen kann und ob es dem Mieter zumutbar ist, dass er an der Vereinbarung festgehalten wird.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin begehrt von den Beklagten Zahlung für die Anmietung von Räumlichkeiten zur Durchführung einer für den 08.08.2020 geplanten Hochzeitsfeier, die wegen der COVID-19-Pandemie von den Beklagten abgesagt wurde.
Die Beklagten, die geheiratet hatten, schlossen Ende des Jahres 2018 mit der Klägerin einen Vertrag über die Anmietung von Räumlichkeiten für die Durchführung einer kirchlichen Hochzeitsfeier mit bis zu 120 Gästen. Auf die vereinbarte Miete von 5.000 Euro netto zuzüglich weiterer Kosten leisteten die Beklagten eine Anzahlung i.H.v. 595 Euro.
§ 5 Nr. 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin lautet:
„Bei Rücktritt des Veranstalters in der Zeit von 0 - 24 Wochen vor dem Veranstaltungstermin hat der Veranstalter 100 % des vereinbarten Mietpreises zu tragen. Für den Fall einer anderweitigen Vermietung dieses Termins durch die S. werden hierdurch generierte Einnahmen von dem zu zahlenden Mietpreis abgezogen. Der Veranstalter hat eine Bearbeitungsgebühr i.H.v. 500,- Euro netto (zzgl. 19 % MwSt) für die bereits geleisteten Verwaltungsaufwendungen der S. zu zahlen.“
Da nach § 1 Abs. 5 Nr. 1 der Niedersächsische Corona-Verordnung vom 10.07.2020 (Nds. GVBl, S. 226) zum geplanten Veranstaltungstag bei Einhaltung des Abstandsgebots die Teilnahme an Hochzeitsfeiern nur mit nicht mehr als 50 Personen zulässig war, haben die Beklagten die Veranstaltung abgesagt.
Die Klägerin stellte den Beklagten einen Betrag i.H.v. 5.785 Euro in Rechnung, der sich zusammensetzt aus 5.000 Euro Miete und 500 Euro Bearbeitungsgebühr zzgl. 16 % Mehrwertsteuer, abzüglich der angezahlten 595 Euro. Eine Zahlung durch die Beklagten erfolgte nicht.
Das LG Lüneburg (Urt. v. 10.05.2021 - 10 O 313/20 - ZMR 2022, 360) hat die Klage abgewiesen. Das OLG Celle (Urt. v. 02.12.2021 - 2 U 64/21 - MDR 2022, 296 = IMR 2022, 2183 m. Anm. Lohrengel) hat das Urteil abgeändert und die Beklagten verurteilt, an die Klägerin 1.405 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Die Klägerin könne ihren Zahlungsanspruch nicht auf § 5 Nr. 1 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen stützen, weil diese Klausel wegen Verstoßes gegen § 308 Nr. 7 BGB bzw. § 309 Nr. 5 BGB unwirksam sei. Damit sei auch das vertraglich eingeräumte Rücktrittsrecht ersatzlos entfallen.
Ein außerordentliches Kündigungsrecht der Beklagten wegen der Corona-Pandemie auf der Grundlage von § 543 Abs. 1 BGB i.V.m. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB sei zu verneinen. Es fehle an einem Vorenthalten des vertragsgemäßen Gebrauchs, weil die behördlichen Auflagen nicht zu einem Sachmangel der angemieteten Fläche geführt hätten. Ein Kündigungsrecht aus § 543 Abs. 1 BGB habe nicht bestanden, weil es an einer relevanten und schuldhaften Vertragsverletzung auf Seiten der Klägerin fehle. Jedoch sei ein Kündigungsrecht der Beklagten wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu bejahen. Die Durchführung einer Hochzeitsfeier stelle sich aus Sicht der Heiratenden erkennbar als ein ganz besonderes, einmaliges Ereignis dar, welches nicht ohne Weiteres verlegbar sei. Dem müsse auch im Rahmen von § 313 BGB Rechnung getragen werden, so dass ein Kündigungsrecht der Beklagten unabhängig davon zu bejahen sei, ob sie sich einer Verlegung der Hochzeitsfeier verweigert hätten.
Ein Zahlungsanspruch der Klägerin sei nicht in vollem Umfang zu verneinen. Bei einer Störung der Geschäftsgrundlage sei eine Anpassung der Rechtsbeziehung der Vertragsparteien an die veränderten Verhältnisse geboten, wobei das richterliche Ermessen maßgebend sei. Die in Ausübung dieses Ermessens vorzunehmende Anpassung der Vertragsbeziehungen könne dahin führen, dass die vorzeitig kündigende Partei der anderen Vertragspartei wegen fehlgeschlagener Investitionen oder anderer Nachteile eine Ausgleichsleistung zu erbringen habe.
In Ausübung des richterlichen Ermessens (§ 287 ZPO) sei vorliegend unter Berücksichtigung der Anzahlung i.H.v. 595 Euro die Zahlung eines weiteren Betrages i.H.v. 1.405 Euro (also insgesamt 2.000 Euro) angemessen.
Auf die Revision der Kläger hat der BGH das Berufungsurteil mit im Wesentlichen folgender Begründung aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen:
Die Klägerin kann ihren Zahlungsanspruch nicht auf § 5 Nr. 1 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen stützen. Diese Vertragsklausel ist wegen Verstoßes gegen die entsprechend anwendbaren §§ 308 Nr. 7, 309 Nr. 5 BGB unwirksam, weil in ihr den Beklagten nicht der Nachweis gestattet wird, dass sie der Klägerin keine oder eine nur wesentlich geringere Vergütung als die festgelegte Pauschale schulden.
Die Beklagten sind allerdings nicht gemäß §§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB von ihrer Verpflichtung zur Mietzahlung befreit.
Nach § 326 Abs. 5 BGB kann der Gläubiger vom Vertrag zurücktreten, falls der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB die geschuldete Leistung nicht erbringen muss. Gemäß § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Diese Voraussetzung für das Rücktrittsrecht aus § 326 Abs. 5 BGB ist vorliegend nicht erfüllt. Denn der Klägerin war es trotz der zum Zeitpunkt der geplanten Hochzeitsfeier in Niedersachsen geltenden Corona-Verordnung und der darin angeordneten Kontaktbeschränkungen nicht unmöglich, den Beklagten den Gebrauch der Mietsache entsprechend dem vereinbarten Mietzweck zu gewähren.
Die von den Beklagten für den 08.08.2020 geplante Hochzeitsfeier konnte deshalb nicht in der beabsichtigten Weise stattfinden, weil nach § 1 Abs. 5 Nr. 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 10.07.2020 zum geplanten Veranstaltungstag bei Einhaltung des Abstandsgebots die Teilnahme an Hochzeitsfeiern nur mit nicht mehr als 50 Personen zulässig war. Der Klägerin wäre es trotz der in der Corona-Schutzverordnung enthaltenen Begrenzung der Teilnehmerzahl an Hochzeitsfeiern möglich gewesen, den Beklagten die gemieteten Räumlichkeiten zu dem vorgesehenen Zeitpunkt zu überlassen. Dass die geplante Hochzeitsfeier nicht in der Form durchgeführt werden konnte, wie sie von den Beklagten beabsichtigt war, beruhte somit auf Regelungen der Corona-Schutzverordnung, deren Adressat die Beklagten als Veranstalter der Hochzeitsfeier waren, die der Klägerin die Erbringung der von ihr geschuldeten Leistung nicht unmöglich machten.
Den Beklagten stand auch kein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Mietvertrags nach § 543 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB zu, da die Mietsache keinen Mangel i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB aufwies.
Der Umstand, dass eine Hochzeitsfeier aufgrund von Regelungen einer zu diesem Zeitpunkt geltenden Corona-Schutzverordnung nicht mit der geplanten Anzahl von Gästen durchgeführt werden kann, führt nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die mit pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen und Veranstaltungsverboten zusammenhängende Gebrauchsbeschränkung beruht nicht auf der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der Mietsache, sondern knüpft daran an, dass Veranstaltungen und der damit verbundene enge Kontakt zwischen Menschen die Gefahr einer verstärkten Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus begünstigt und dies aus Gründen des Infektionsschutzes untersagt werden sollte. Das Mietobjekt stand trotz der Regelungen in der Coronaschutzverordnung, die die Anzahl der Teilnehmer an der geplanten Hochzeitsfeier begrenzten, weiterhin für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung.
Das Vorliegen eines Mangels i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich nicht aus dem vereinbarten Mietzweck. Für öffentlich-rechtliche Gebrauchsbeschränkungen, Verbote oder Gebrauchshindernisse, die sich aus sonstigen Umständen ergeben oder in der Person des Mieters ihre Ursache haben, hat der Vermieter ohne eine anderslautende Vereinbarung nicht einzustehen. Ein redlicher Mieter darf daher das Leistungsversprechen seines Vermieters im Zweifel nicht dahin verstehen, dieser wolle ihm die vereinbarte Nutzung unter allen erdenklichen Umständen gewährleisten. Deshalb konnten die Beklagten nicht davon ausgehen, dass die Klägerin mit der Vereinbarung des konkreten Mietzwecks, einer Hochzeitsfeier mit bis zu 120 Personen, eine unbedingte Einstandspflicht auch für den Fall von hoheitlich angeordneten Beschränkungen von Veranstaltungen zur Bekämpfung einer Pandemie übernehmen wollte.
Nicht frei von Rechtsfehlern ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagten seien wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 und 3 BGB zur Kündigung des Mietvertrags berechtigt gewesen.
Ein Anspruch des Mieters, der bei einem gewerblichen Vermieter Räumlichkeiten zur Durchführung einer Veranstaltung gemietet hat, die aufgrund von hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht oder nicht wie geplant stattfinden konnte, auf Anpassung des Mietvertrags wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB kommt grundsätzlich in Betracht.
Durch die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen weitreichenden Beschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens hat sich die sog. große Geschäftsgrundlage für den zwischen den Parteien abgeschlossenen Mietvertrag schwerwiegend geändert. Keine der Parteien hatte bei Abschluss des Mietvertrags die Vorstellung, dass es zu einer Pandemie und damit verbundenen erheblichen hoheitlichen Beschränkungen kommen würde, durch die die beabsichtigte Nutzung der Mieträume eingeschränkt wird. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien den Mietvertrag mit einem anderen Inhalt abgeschlossen hätten, wenn sie bei Vertragsschluss die Möglichkeit einer Pandemie und die damit verbundene Gefahr, dass aufgrund hoheitlicher Beschränkungen die Hochzeitsfeier nicht mit der geplanten Anzahl an Gästen stattfinden kann, vorausgesehen hätten. Redliche Mietvertragsparteien hätten für diesen Fall das damit verbundene wirtschaftliche Risiko nicht einseitig zu Lasten des Mieters oder Vermieters geregelt, sondern in dem Vertrag für diesen Fall eine Möglichkeit zur Anpassung vorgesehen.
Allerdings muss neben den gegebenen realen und hypothetischen Elementen auch das normative Element erfüllt sein. Die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB berechtigt für sich genommen noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlangt die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Durch diese Formulierung kommt zum Ausdruck, dass nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsschluss bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse eine Vertragsanpassung oder eine Kündigung (§ 313 Abs. 3 BGB) rechtfertigt. Hierfür ist vielmehr erforderlich, dass ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt.
Grundsätzlich trägt der Mieter im Verhältnis zum Vermieter das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache. Es geht es jedoch über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus, wenn er eine konkrete Veranstaltung, für die er Räumlichkeiten gemietet hat, aufgrund hoheitlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht oder nicht im geplanten Umfang durchführen kann. Die Gebrauchsbeschränkung an der Mietsache ist in diesem Fall Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann. Das damit verbundene Risiko kann regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden.
Auch wenn die mit hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verbundene Gebrauchsbeeinträchtigung der Mietsache nicht allein dem Verwendungsrisiko des Mieters zugeordnet werden kann, bedeutet dies aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung des Vertrags nach § 313 BGB verlangen kann.
Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf auch in diesem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1 BGB). Dabei kann eine Anpassung nur insoweit verlangt werden, als dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Das Gericht muss daher nach § 313 Abs. 1 BGB diejenigen Rechtsfolgen wählen, die den Parteien unter Berücksichtigung der Risikoverteilung zumutbar sind und durch die eine interessengerechte Verteilung des verwirklichten Risikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt wird. Die Anpassung darf in die Vereinbarung der Parteien nicht weiter eingreifen, als es durch die veränderten Umstände geboten ist.
Die Anwendung der Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage führt nur ausnahmsweise zur völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses; in aller Regel ist der Vertrag aufrechtzuerhalten und lediglich in einer den berechtigten Interessen beider Parteien Rechnung tragenden Form der veränderten Sachlage anzupassen. Deshalb ist nicht nur bei der Prüfung des normativen Tatbestandsmerkmals des § 313 Abs. 1 BGB, sondern auch bei der Frage, welche Form der Vertragsanpassung im konkreten Fall angemessen ist, von besonderer Bedeutung, welche Regelung die Parteien gewählt hätten, wenn sie das Ereignis, das zur Störung der Geschäftsgrundlage geführt hat, bei Vertragsschluss bedacht hätten. Unzumutbar ist eine Vertragsanpassung dann, wenn sie gegenüber dem ursprünglichen Vertrag zu einer Mehrbelastung einer Partei führen würde, der diese nicht wenigstens hypothetisch bei Vertragsschluss zugestimmt hätte, wenn sie die Grundlagenstörung vorausgesehen hätte. Nur wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist, kann nach § 313 Abs. 3 BGB der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten oder bei Dauerschuldverhältnissen den Vertrag kündigen. Die Frage, ob und inwieweit ggf. eine Anpassung des Vertrags gemäß § 313 Abs. 3 Satz 1 BGB möglich und zumutbar ist oder der benachteiligte Vertragspartner eines Dauerschuldverhältnisses nach § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB das Recht zur Kündigung hat, ist unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien zu entscheiden. Es genügt nicht, dass ein weiteres Festhalten am Vereinbarten nur für eine Partei unzumutbar erscheint; vielmehr muss das Abgehen vom Vereinbarten der anderen Partei auch zumutbar sein.
Auf dieser Grundlage hat das Gericht in tatrichterlicher Verantwortung für den konkreten Einzelfall die Voraussetzungen des § 313 BGB festzustellen und ggf. eine Vertragsanpassung vorzunehmen, bei der ein weiter Ermessensspielraum des Tatgerichts besteht. Dessen Entscheidung ist vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüfbar, ob das Ermessen ausgeübt worden ist, dabei alle wesentlichen Umstände rechtsfehlerfrei ermittelt und berücksichtigt sowie die Grenzen des tatrichterlichen Ermessens richtig bestimmt und eingehalten worden sind.
Danach ist die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, im vorliegenden Fall seien die Beklagten gemäß § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB zur Kündigung des Vertrags berechtigt gewesen, nicht frei von Rechtsfehlern.
Das Berufungsgericht hat ein Kündigungsrecht der Beklagten allein mit der Begründung bejaht, die Durchführung einer Hochzeitsfeier sei ein einmaliges und besonderes Ereignis, welches nicht ohne weiteres verlegbar sei. Deshalb sei ein Kündigungsrecht der Beklagten unabhängig davon zu bejahen, ob diese sich einer Verlegung der Hochzeitsfeier verweigert hätten. Damit hat es bei seiner Ermessensausübung wesentliche Umstände des Falles nicht angemessen berücksichtigt und zudem verkannt, dass nach § 313 Abs. 3 BGB ein Rücktrittsrecht oder ein Recht zur Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses als Form der Vertragsanpassung nur als ultima ratio in Betracht kommt, wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil auch ein Festhalten an dem Vertrag mit angepasstem Inhalt nicht zumutbar ist.
Das Berufungsgericht hat insbesondere nicht ausreichend in den Blick genommen, ob sich der Anspruch der Beklagten nach § 313 Abs. 1 BGB auf Vertragsanpassung auf die von der Klägerin angebotene Verlegung der Hochzeitsfeier beschränkt, weil bereits dadurch eine interessengerechte Verteilung des Pandemierisikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt werden kann. Nach den bislang getroffenen Feststellungen wäre den Beklagten eine Verlegung der Hochzeitsfeier auch zumutbar gewesen. Die standesamtliche Trauung der Beklagten hatte bereits am 08.08.2018 stattgefunden. Die Hochzeitsfeier stand daher nicht, wie regelmäßig, im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer standesamtlichen oder kirchlichen Trauung. Das Berufungsgericht hat zudem nicht angemessen berücksichtigt, dass am 08.08.2020 aufgrund der zu diesem Zeitpunkt geltenden weitreichenden hoheitlichen Beschränkungen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie die Durchführung einer Hochzeitsfeier mit bis zu 120 Personen in ganz Niedersachsen nicht möglich war. Die Beklagten hätten daher, unabhängig von den konkret angemieteten Räumlichkeiten, die geplante Hochzeitsfeier an diesem Tag nicht durchführen können und den Termin mit den damit verbundenen Planungs- und Vorbereitungsarbeiten verlegen müssen.
Nach den bislang getroffenen Feststellungen haben die Beklagten außer dem Umstand, dass sie die Hochzeitsfeier an einem Jahrestag ihrer standesamtlichen Trauung durchführen und mit der Taufe ihrer Tochter verbinden wollten, keine tragfähigen Umstände dafür vorgetragen, dass eine andere Form der Vertragsanpassung unmöglich oder ihnen nicht zumutbar sei (vgl. § 313 Abs. 3 BGB). Allein die nicht näher begründete Behauptung, eine Verschiebung der Hochzeitsfeier auf einen späteren Termin komme für sie nicht in Betracht, reicht hierfür nicht aus.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung ergänzt die drei Vorgängerentscheidungen (BGH, Urt. v. 12.01.2022 - XII ZR 8/21 - MDR 2022, 147; BGH, Urt. v. 16.02.2022 - XII ZR 17/21 - MDR 2022, 418; BGH, Urt. v. 02.03.2022 - XII ZR 36/21 - MDR 2022, 319) zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Mietverträge (vgl. i.E. Burbulla, MDR 2022, 989, 993; Burbulla, MDR 2023, 12; Sittner, NJW 2022, 1349). Vor diesen Revisionsentscheidungen waren eine Vielzahl an Entscheidungen der Instanzgerichte ergangen mit unterschiedlicher Beurteilung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Mietverträge (vgl. die Nachweise bei Burbulla, MDR 2022, 989, 993, Nachweis der Zitierungen bei juris im Orientierungssatz zu BGH, Urt. v. 12.01.2022 - XII ZR 8/21; sowie die Dokumentation von Drasdo, NZM 2022, 95, mit Stand: 01.01.2022).
In seiner Grundsatzentscheidung vom 12.01.2022 (XII ZR 8/21 - MDR 2022, 147 = NZM 2022, 99 m. Anm. Kappus; ausf. Burbulla/Schneider, MDR 2022, 465) hat der BGH über die möglichen rechtlichen Auswirkungen von hoheitsrechtlich angeordneten Betriebsschließungen aufgrund der COVID-19-Pandemie auf die Mietzahlungspflicht von Gewerbemietern entschieden.
Einleitend bejaht der BGH die Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften und die Regelungen des allgemeinen schuldrechtlichen Leistungsstörungsrechts, weil Art. 240 § 2 EGBGB keine Sonderregung mit Sperrwirkung ist (BGH, Urt. v. 12.01.2022 - XII ZR 8/21 Rn. 18-25; Anm. Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 2/2022 Anm. 1; Hog, jurisPR-MietR 3/2022 Anm. 2).
Der BGH bestätigt seine bisherige Rechtsprechung, dass die Corona-Schutzverordnung nicht zu einem Mietmangel i.S.d. § 536 Abs. 1 BGB führt (Besprechungsurteil Ls. 3 Rn. 20 f.; BGH, Urt. v. 02.03.2022 - XII ZR 36/21 - NJW 2022, 1382 Rn. 20 f.).
Der BGH bestätigt seine bisherige Rechtsprechung, dass die Einschränkungen durch die Pandemie nicht zur Unmöglichkeit der vom Vermieter geschuldeten Leistung führen (Ls. 1 Rn. 17 f., 34 des Besprechungsurteils; BGH, Urt. v. 02.03.2022 - XII ZR 36/21 Ls. 1 Rn. 17 f.; BGH, Urt. v. 12.01.2022 - XII ZR 8/21 Ls. 1 Rn. 40 m. Anm. Bub/Pramtaroff, FD-MietR 2022, 447209; Sittner, NJW 2022, 1349; Börstinghaus, NZM 2022, 442).
Für den Mieter kommt gemäß § 313 Abs. 1 BGB eine Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage in Betracht (Ls. 3 Rn. 25 des Besprechungsurteils; BGH, Urt. v. 02.03.2022 - XII ZR 36/21 Ls. 3 Rn. 29 f.; BGH, Urt. v. 12.01.2022 - XII ZR 8/21 Ls. 3 Rn. 41 ff.; ausf. hierzu Burbulla/Schneider, MDR 2022, 465, 466 f.).
Wenn die Anpassung des Vertrages nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist, kann nach § 313 Abs. 3 BGB der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten oder bei Dauerschuldverhältnissen den Vertrag kündigen. Dafür genügt es nicht, dass ein weiteres Festhalten am Vereinbarten nur für eine Partei unzumutbar erscheint; vielmehr muss das Abgehen vom Vereinbarten der anderen Partei auch zumutbar sein (Ls. 4 Rn. 28 f. des Besprechungsurteils; BGH, Urt. v. 02.03.2022 - XII ZR 36/21 Ls. 4 Rn. 34; BGH, Urt. v. 12.02.2022 - XII ZR 8/21 Ls. 3 Rn. 57 ff).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidungen bieten dem Rechtsanwender Handlungsanweisungen für Fallkonstellationen, in denen hoheitliche Maßnahmen zu Störungen von Mietverhältnissen führen. Der BGH betont in seinen Entscheidungen, dass pauschale Lösungen in diesen Fällen nicht in Betracht kommen, sondern in jedem Fall die gesamten Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind (BU Rn. 30; BGH, Urt. v. 12.01.2022 - XII ZR 8/21 - MDR 2022, 147 Ls. 3 Rn. 42 ff., 53, 57, 64; Urt. v. 02.03.2022 - XII ZR 36/21 Rn. 38; Finkenauer in: MünchKomm, 9. Aufl. 2022, § 313 Rn. 89; zum Begriff der Geschäftsgrundlage vgl. i.E. Lorenz in: BeckOK BGB, 64. Ed: Stand: 01.011.2022, § 313 Rn. 4-7). Die erforderliche Abwägung der vielfältigen Umstände in jedem Einzelfall (vgl. i.E. zu den relevanten Umständen Lorenz in: BeckOK BGB, 64. Ed. Stand: 01.11.2022 § 313 Rn. 23-54) lässt befürchten, dass die „Prozessflut kaum verebben wird“ (Kappus, Anm. zu BGH, Urt. v. 12.01.2022 - XII ZR 8/21 - NJW 2022, 106). In der Praxis werden die Ermittlung der unter Umständen vielfältigen Einzelfallumstände, deren Abwägung und das Finden eines angemessenen Ausgleichs beachtliche Probleme bereiten (ausf. Sittner, NJW 2022, 1349; Burbulla/Schneider, MDR 2022, 465, 468).
Nach den genannten Entscheidungen sind folgende Aspekte zu berücksichtigen (Burbulla/Schneider, MDR 2022, 465, 468; vgl. auch Sittner, NJW 2022, 1349):
Die Nachteile des Mieters, Umsatzrückgänge, Nachholeffekte; Umsatzeinbußen nach Wiedereröffnung, Vorteile des Mieters, z.B. staatliche Hilfen; Kompensationsmaßnahmen des Mieters; Nachteile des Vermieters, Darlegungs- und Beweislast des Mieters für alle maßgeblichen Umstände dafür, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs gegeben sind.
Angesichts dieser Anforderungen wird es im Regelfall für den Mieter mit erheblichem Aufwand und einer unsicheren Prognose hinsichtlich eines Verfahrensrisikos verbunden sein, einen Anpassungsanspruch gerichtlich durchzusetzen.



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